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  1. #21
    Taschenbillard-Spieler
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    Das klingt wirklich nicht schlecht; mal sehen, ob ich davon Gebrauch machen werde

    Hat im Moment niemand eine neue Geschichte? Nun ja, ich hätte da einen weiteren Ausschnitt aus meiner Geschichte mit Samuel, wenn jemand möchte:

    Erneut klapperte es, dann kam seine Frau mit einem Teller aus der Küche zurück, auf dem zwei Brote lagen, die recht appetitlich mit Fleisch und Salat belegt waren. Samuel spürte, wie sein Magen danach lechzte, aber er selbst war eher angewidert – wie von jeder Art menschlicher Nahrung –, und so winkte er rasch ab. »Nein, ich kann… ich meine, ich kann wirklich nicht…« Seine Stimme klang wie ein Reibeisen, doch ehe er sich räuspern konnte unterbrach ihn der Alte mit den Worten: »Unsinn! Du musst doch wieder zu Kräften kommen«, und seine Frau schob den Teller näher heran.
    Samuel wollte nicht wirklich, und so drehte er den Kopf zur Seite, woraufhin das Gesicht der Alten einen recht verhärmten Ausdruck annahm. »Nun iss schon! Du musst doch erschöpft sein. Wer weiß, wie lange du schon durch den Wald gelaufen bist und nichts Vernünftiges Zuessen bekommen hast«, räumte sie ein, und da wurde Samuel schlagartig klar, dass sich seine Tarnung in Gefahr wähnte. Diese beiden Menschen wussten nicht, dass da ein übernatürliches Geschöpf auf ihrem Sofa lag; sie sahen nur seine äußere Hülle, den Körper eines Jugendlichen, der durch den tiefsten Wald spaziert war. Wie seltsam musste er ihnen erscheinen? Allein im Niemandsland? Um diese Uhrzeit? Sie konnten sich anhand seiner Kleidung und seines Zustands zusammenreimen, dass dies nicht sein erster Tag in der Wildnis war, und gewiss musste er kurz vor dem Hungertod stehen. Jedenfalls würde er das, wenn er ein echter Mensch wäre und seine Kraft nicht zusätzlich aus anderen Quellen ziehen könnte. Wenn er jetzt zuließ, dass sie stutzig wurden, würde er wohl im nächsten Krankenhaus landen, wo er wieder bei Null anfangen musste.
    Zögerlich griff er nach einem der Brote. Er war diese Form der Nahrung nicht mehr gewohnt, hatte er bis dato sein menschliches Bedürfnis mit Wildbeeren, Pflanzen und manchmal nur bloßer Energiesynthese aus der Umgebung befriedigt, was seinen Körper am Leben gehalten, aber von Tag zu Tag dünner gemacht hatte, sodass nun die Rippen unter seiner Haut hervorstachen.
    Äußerst zaghaft biss er hinein und kaute langsam, ehe er plötzlich einen äußerst angenehmen Geschmack auf der Zunge spürte, um so viel gehaltvoller als die Beeren und Blätter aus dem Wald. Ein Geschmack, wie er ihn seit Jahrzehnten nicht mehr verspürt hatte. Überrascht biss er noch einmal ab und kaute mit mehr Ruhe. Es schmeckte ihm tatsächlich.
    »Na also!«, rief der Alte freudig und klopfte ihm sanft auf den Rücken. »So ist’ gut.« Er drängte Samuel, auch das zweite Brot zu verspeisen. Eine ungewohnte Belebung brandete durch seinen Körper, neue Energie strömte in seine Glieder.
    Die Frau trug den Teller hinaus, und der Alte deckte ihn mit einer Wolldecke zu, ehe er seiner Neugier freien Lauf ließ und fragte: »Nun musst du mir aber erzählen, was du da draußen gemacht hast. Du bist doch wohl kein Ausreißer?« Doch die Art, wie er es sagte, ließ vermuten, dass er genau dies von ihm dachte.
    Samuel wusste nicht, was er antworten sollte. Ihn beschäftigten sogleich wieder andere Gedanken, die sich um den Auftrag drehten, den er mit seinem verletzten Bein unmöglich zuende bringen konnte. Zähneknirschend machte er sich klar, dass er wohl erst wieder halbwegs genesen musste, ehe er an einen Schritt in diese Richtung denken konnte. Er wollte sich bereits an einer ausweichenden Antwort versuchen, aber der Alte hatte sich aus seinem Schweigen bereits eine eigene gebildet.
    »Ein Ausreißer, also doch!« Er lächelte mitfühlend, dann strich er ihm über den Rücken, stand auf und ging zu seiner Frau in die Küche. »Ein Ausreißer, Anny. Ich vermute, er ist aus dem Waisenhaus geflüchtet«, hörte Samuel ihn sagen, und seine Stimme klang gedämpft durch die halboffene Tür.
    »Wer nimmt’s den armen Kindern auch übel?«, erwiderte Anny verständig, dann fügte sie in einem Ton, der Samuel gefährlich nah an ein tiefstes Flehen kam: »Oh Greg, wir können ihn nicht wieder dorthin zurückbringen.«
    »Das haben wir leider Gottesnamen nicht zu entscheiden, Anny. Wir können ihn auch nicht hier behalten.«
    Ein seltsam abgehackter, aufbegehrender Laut war zu hören, wie ein hohes, empörtes »Oh«, dann entschied Anny: »Bis er gesund ist, wird er hier bleiben, solange kann ihn uns niemand wegnehmen.« Damit schien das Gespräch beendet, zumindest kam sie wieder zurück ins Wohnzimmer. Der Alte wartete im Türrahmen, einen unschlüssigen Ausdruck auf dem Gesicht, der sich noch nicht entschieden hatte, ob er Sorge oder Freude wiederspiegeln wollte.
    Sorgfältig rückte sie die Decke zurecht, um sich zu vergewissern, dass sie auch jeden Fleck seines Körpers bedeckte. Für einen Augenblick war ihr Lächeln verschwunden, um einer nachdenklichen Miene zu weichen, dann aber kehrte es umso wärmer zurück. »Hoffentlich schläfst du heute Nacht besser als im Wald. Du brauchst jetzt viel Ruhe.« Mit diesen Worten löschte sie die Lampe, und Samuel blieb in angenehmem Dämmerschein zurück.


    Der Morgen erwartete Samuel mit einem herzhaften Frühstück aus weiteren Broten und glasierten Pfannkuchen. Er hatte tatsächlich gut geschlafen – wohl zum aller ersten Mal, seit er in den menschlichen Körper geschlüpft war. Nicht einmal müde fühlte er sich. Wirklich, nicht im Geringsten.
    Unschlüssig richtete er sich im Polster auf. Sein Bein war über Nacht besser geworden. Der Schmerz hatte nachgelassen, und da er sich beinahe uneingeschränkt bewegen konnte schloss er, dass nichts gebrochen war. Auch fühlte er sich keineswegs mehr so elend wie am Vortag. Er würde gehen, noch in dieser Nacht, um den Auftrag zuende zu bringen.
    »Komm, iss noch etwas!« Es war schon der fünfte Pfannkuchen, den die Alte ihm aufzwängte, und auch, wenn es unvergleichlich gut schmeckte, glaubte Samuel, dass er seinen Mageninhalt gleich quer über den Tisch befördern würde. »Nein, nein danke…«, brachte er hervor, ehe er ein Aufstoßen unterdrückte und ihm die Schamesröte ins Gesicht stieg. Greg, der im Sessel gegenüber Zeitung las, lächelte belustigt, während Samuel gegen einen weiteren Aufstoß ankämpfte.
    Anny seufzte, dann räumte sie den Tisch ab, der, das bemerkte er nun, nur für ihn gedeckt worden war. Herrgott… die gaben sich wirklich Mühe. Und das um einen Fremden willen. Er erinnerte sich nicht, jemals derart liebevoll behandelt worden zu sein, außer von ihr. Von Bethany. Aber das war eine andere Geschichte.
    Greg ließ die Zeitung sinken und sah Samuel über den Rand seiner Stahlbrille an, so vertraut, als ob er sein Enkel wäre – was er durchaus hätte sein können, wenn man nur vom äußeren Schein her urteilte. Tatsächlich aber hielt Samuel es für wahrscheinlich, dass sie beide im selben Jahrzehnt geboren wurden. Unbehaglich wich er ein Stück zurück.
    »Du bist also geflüchtet«, äußerte Greg, als würde er laut überlegen, dann faltete er die Zeitung über dem Schoß. »Was sollen wir nur mit dir machen…«
    Es klang weniger vorwurfsvoll, sondern eher so, als denke er noch immer über seine Optionen nach und wäge dabei ab, was das Beste für ihn wäre. Samuel konnte hören, wie in seinen Worten der innige, schwer zu deutende Wunsch mitschwang, ihn um alles in der Welt bei sich zu behalten.
    Fast hätte er sich bei dem Gedanken verschluckt. Ihre Gastfreundschaft in Ehren, aber das fehlte gerade noch. Etwas zu eilig erklärte er daher: »Oh… Um mich müssen Sie sich nicht die geringsten Sorgen machen, wirklich, keineswegs. Ich komme sehr gut allein zurecht.« Erst im Nachhinein fiel ihm auf, wie erschreckend durchschaubar diese Aussage aus seinem Mund geklungen hatte, und so sah er sich bemüßigt, mit mehr Nachdruck hinzuzufügen: »Ihre Gedanken um mich sind unnötig, das kann ich Ihnen versichern«, und als er merkte, dass seine Versicherung etwas abrupt ihren Schluss fand, endete er mit einem linkischen »Sir.«
    Der Alte blickte ihm mit einem Ausdruck tiefster Überraschung entgegen, dann nahm er die Brille ab und begann, lauthals zu lachen. »Anny, wann hast du je erlebt, dass ein Jugendlicher noch Sir sagt?«
    Zunächst konnte Samuel nicht anders, als ihn verwundert anzustarren. Er war verwirrt von seiner Reaktion, dann jedoch geradezu verunsichert: Hatte er einen taktischen Fehler begangen? Er hielt Sir für eine angemessene Bezeichnung. Aber andererseits… Vielleicht sprachen Jugendliche gar nicht so förmlich. Was dieses Thema anbelangte, waren seine Erfahrungen vollständig veraltet. Er hatte seit seinem Lebenswandel viel zu selten etwas mit Jugendlichen zu tun gehabt – von den Zeiten, in denen er sich wie jetzt ihrer Körper bemächtigte, einmal abgesehen – um wirklich über ihre Anschauungen im Bilde zu sein. Für die Dauer eines Lidschlags schnürte sich ihm die Kehle zu, da er fürchtete, sich verraten zu haben.
    Doch der Alte zerschlug seine Ängste. »Sammy, für einen Ausreißer hast du beinahe viel zu gute Manieren. Bist du sicher, dass du nicht aus einer anständigen Familie kommst? Sir…« Wieder lachte er kopfschüttelnd, während Anny aus der Küche zurückkam und ihren Mann in gespielter Empörung zurechtwies. »Natürlich hat er gute Manieren, Greg! Du musst ihn dir doch nur ansehen; er hat sogar Bedenken dabei, kräftig zuzulangen. Dabei musst du doch wieder zu Kräften kommen.«
    Während sie an ihm vorbeilief, warf sie ihm ein so aufrichtiges, unbefangenes Lächeln zu, dass Samuel peinlich berührt das Gesicht abwandte. Es dauerte einen Moment, ehe er den widerstreitenden Gefühlen Einhalt gebieten konnte, und dann wich die Betretenheit tiefer Unsicherheit. Schämte er sich tatsächlich? Er wusste es nicht genau. Unwillkürlich wurde seine Bauchregion von einem sich ausbreitenden Kribbeln vereinnahmt, das er eher interessant als schön fand. Und doch unterschied es sich so eindeutig von dem, was er gewohnt war, dass er die Empfindung zuließ, und nach und nach verdichtete sich das Gefühl zu einer Quelle schlichter Euphorie. Er konnte sich kaum etwas Vergleichbares vorstellen. Unfassbar: Er hatte etwas Schönes im Körper eines Menschen verspürt.
    Die Frau setzte sich auf einen Stuhl an den Tisch, und während sie beiläufig in einer alten Illustrierten blätterte, wurde Samuels Blick von einem prachtvoll eingebundenen Buch angezogen, das auf der Ablage unter dem Tisch achtlos von allerlei Krempel erdrückt wurde. Die Ecken waren zerrissen und die Kanten abgenutzt, doch obwohl durch diese Anzeichen auf einen häufigen Gebrauch zu schließen war, hatte sich bereits eine dicke Staubschicht auf der Oberseite abgesetzt. Neugier packte Samuel, und als er sie einen Moment lang erfolglos niederzukämpfen versucht hatte, holte er den Band hervor. Vorsichtig befreite er das Buch vom Dreck und unterdrückte einen Aufschrei, als seine Finger die Seiten berührten und wie Nesselgift zu brennen begannen. Unschlüssig griff er mit der Hand um und hielt es am Einband fest, dann starrte er mit glasigem Blick auf die Vorderseite. Es handelte sich um die Heilige Schrift.
    »Oh, du hast unsere Bibel gefunden«, entfuhr es Anny, doch es klang gepresst, als wäre es ihr nicht unrecht gewesen, wenn das Buch weiterhin unter Unrat versteckt geblieben wäre. Nun ließ auch Greg die Zeitung sinken.
    »Sind Sie gläubig?«, fragte Samuel, denn diese Frage konnte er sich einfach nicht verkneifen.
    Anny wollte zu einer Antwort ansetzen, doch Greg kam ihr zuvor. »Nein«, erwiderte er barsch, was überhaupt nicht zu seiner so freundlichen Art passen wollte, und Samuel erschrak beinahe über die Härte in seiner Stimme. Anny warf ihrem Mann einen vorwurfsvollen Blick zu, dann sagte sie niedergeschlagen: »Nein, mein Lieber, wir sind nicht gläubig. Nicht mehr.«
    »Was ist denn passiert?«, hakte er vorsichtig nach, doch Anny hüllte sich in Schweigen. Ihr Gesicht war ausdruckslos, als sie sich erhob und mit hängenden Schultern zurück in die Küche ging. Samuel verspürte einen Anflug unschicklicher Neugier, doch sein Taktgefühl verbot jegliche Versuche, weiter in diese Privatsphäre vorzudringen, mehr noch als die strikte Beschränkung seines Dienstes. Er war sich sicher, dass es sogar dann unrecht gewesen wäre, wenn es nicht außerhalb seiner Pflicht gelegen hätte.


    Wenn es jemand liest, bitte ich um Rückmeldung

    LG Cas

  2. #22
    Rookie Avatar von Fantasyfan
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    Ok, habs gelesen, gefällt mir, mehr gibt es da nicht zu sagen;-)
    Nur dass es fast schon in einem Cliffhanger endet, ist gemein Kannst ruhig noch einen Part nachschieben. Kurze Frage: Wie lang ist die Story bzw. ist sie überhaupt schon fertiggestellt?

  3. #23
    Taschenbillard-Spieler
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    Die Geschichte ist seit Anfang 2010 vollendet, wenn man die tausend Nachbearbeitungen hinterher nicht mitzählt Ich könnte jetzt noch genug verbessern, wenn ich es so durchlese... Himmel.
    Sie hat 33 Seiten, ist also ebenfalls eher kurz. Wenn möglich, werde ich später noch etwas mehr einstellen.

  4. #24
    Rookie Avatar von Fantasyfan
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    Mach das auf jeden Fall ;-)

  5. #25
    Taschenbillard-Spieler
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    Mir fällt gerade auf, dass ich den eigentlichen Anfang und eine unwesentlichere Stelle ausgelassen habe. Lag vermutlich daran, dass ich für den Auftakt eine aussagekräftigere Stelle verwenden wollte, war ja damals einer meiner ersten Posts Nun ja, hier geht es weiter:

    Der Abend brach früher an, als Samuel erwartet hatte, denn ohne die Absicht dazu gehabt zu haben, war er am Nachmittag wieder eingeschlafen. Für die Dauer eines Wimpernschlags hielt er inne, dann kämpfte er sich aus den Polstern und setzte vorsichtig die Füße auf den Boden, um seine ersten Schritte in dem beengten Wohnzimmer zu machen. Der Bluterguss an seinem rechten Bein schmerzte, als er aufstand und die Gliedmaße belastete. Jeder Schritt zwang ihn mehr oder weniger zu Boden, sodass er froh war, an den spärlichen Möbeln Halt zu finden. Zähneknirschend kniff er die Augen zusammen und versuchte, die Signale seines Körpers auszublenden, bis er schwankte und sich in seinem Kopf alles drehte. Verdammt… Er hätte sein Fleisch sehr viel lieber noch etwas länger auskurieren lassen, doch die Wahl lag nicht bei ihm. Wenn er sich morgen auf die Suche machte, würden ihm noch fünf Tage bleiben, um Moore zu finden, der sich zum letzten Mal einen Spaß mit den Menschen erlaubt haben sollte. Das war ohnehin ein sehr knappes Limit, und bedachte man, dass er noch immer keinen Anhaltspunkt bezüglich seines Aufenthaltsortes hatte, war die Wahrscheinlichkeit, ihn rechtzeitig zu finden, verschwindend gering.
    Irgendwie war es ungerecht, dass immer sie die Drecksarbeit machen mussten und im Gegenzug noch nicht einmal ein adäquates Maß an Anerkennung erwarten konnten. Ganz gleich, was für ein Tyrann Azazel war: Er erwies den Menschen ohne deren Einsicht einen verdammt guten Dienst, indem er die Schändlichsten ihrer Reihen zu sich nahm. Und wie dankten diese ihm? Indem sie Dämonen der widerwärtigsten Verbrechen bezichtigten und als das leibhaftige Böse brandmarkten, das mit allen Mitteln vernichtet werden muss. Tolle Welt. Es war einfach, den Wohltäter als Teufel darzustellen, obschon er sich immer wieder aufs Neue fragte, wie es die Menschheit vor sich selbst rechtfertigte, ihre eigene Schuld stets auf andere abzuwälzen. Aber vielleicht machten sie sich auch einfach keine Gedanken. Menschen begingen immerhin tagtäglich Verbrechen, auf die nicht einmal die übelsten Dämonen kommen würden, angefangen von Völkermorden bis hin zu Atomkriegen, die ihre eigene Welt verseuchten. Eine sterbende, verkehrte Welt. War es ihnen also eigen, die Schuld nicht bei sich selbst zu suchen? Hatten sie einfach kein Gewissen? Er konnte sich nicht mehr erinnern. Alles, was ihm ins Gedächtnis gebrannt war, war die Skrupellosigkeit der menschlichen Spezies, aufgrund derer die Gilde der Kopfgeldjäger ins Leben gerufen wurde.
    Samuels Knie knickte ein, und er fing sich gerade noch an der Sessellehne, als Anny ins Wohnzimmer trat und das Licht einschaltete. »Oh!«, stieß sie erschrocken hervor, beruhigte sich jedoch sofort, als sie ihn erkannte. »Du solltest noch nicht herumlaufen«, äußerte sie tadelnd, aber mit wenig Gefühl. »Leg dich wieder hin.«
    Samuel wollte widersprechen, schloss den Mund aber sogleich wieder und sah sie an. Irgendetwas stimmte nicht. Er konnte ihr Unbehagen sehen und noch deutlicher fühlen, sowohl an ihrer gekehrten Miene als auch mit Hilfe seiner Intuition. Etwas bedrückte sie. Eine Gewissheit, die noch untermauert wurde, als sie sich auf das Sofa setzte und ihre Hände unwillkürlich in ihrem Schoß verkrampften.
    »Stimmt etwas nicht? Sie wirken so… angespannt«, begann Samuel und wusste nicht, ob er sich damit zu weit aus dem Fenster lehnte. Persönliche Angelegenheiten gingen die Jäger nichts an, und es war ihnen strengstens untersagt, nach eigenem Gutdünken in den Werdegang der Dinge einzugreifen. Die Gefahr, die von der Einmischung ihrerseits in noch so triviale Umstände ausging, war nicht zu unterschätzen, und schon kleinste, unbedachte Veränderungen konnten das Gleichgewicht ihrer Welten aus den Angeln heben.
    Anny jedoch seufzte so unglücklich, dass Samuel nicht länger an sich halten konnte. »Wollen Sie mir nicht verraten, was Sie beschäftigt?« Er hatte das plötzliche, unerklärliche Verlangen, sie zu trösten, die Sorge von ihr zu nehmen oder sie wenigstens mit ihr zu teilen. Dies erschien ihm das Mindeste, nachdem sie sich derart aufopfernd um ihn gekümmert hatten, und jeglicher Vorwurf ob der Tatsache, dass er deswegen im Zeitplan zurückgeworfen wurde, schwand im Angesicht der Gedanken, wie er zum ersten Mal wieder menschliche Gefühle genossen hatte.
    Anny sah ihn an, als wüsste sie nicht, ob sie sich ihm anvertrauen sollte. Wie sie da vor sich hin starrte, ohne wirklich etwas zu sehen, wirkte sie völlig geistesabwesend. »Als du heute unsere Bibel gefunden hast«, begann sie schließlich zurückhaltend, und Samuel setzte sich zu ihr, »da wurde ich an früher erinnert. An die Zeit vor…« Sie brach abrupt ab, ehe sie beschämt fortfuhr: »Es ist nicht so, dass ich jetzt unglücklich wäre«, wobei sie so mühsam klang, dass es ihre Worte Lügen strafte, »doch ich muss gestehen, dass unser Leben längst nicht mehr so ist wie früher. Es hat sich geändert, seit dem Tod unseres Sohnes.« Eine Mischung aus bodenloser Trauer und hehrer Wehmut ging von ihrem Gemüt aus, die Samuels geistigen Tastsinn mit ihrer emotionalen Wucht beinahe zerriss. Erschrocken zog er seine Sinne zurück und umfing sie in der Sicherheit seines Körpers. »Sein Name war Sam. Du hast mich sofort an ihn erinnert… Ich wünschte nur, er würde noch leben…« Sie schluchzte leise und verbarg das Gesicht in den Händen, sodass Samuel, der vor Sekunden noch bestürzt geblinzelt hatte, nicht anders konnte, als sie tröstend zu umarmen.
    Sie schluchzte noch einige Male, und Samuel sagte vorsichtig: »Das tut mir wirklich so leid… Ich wünschte, ich könnte etwas tun.« Plötzlich kam ihm ein Gedanke: »Haben Sie… sind Sie deswegen nicht mehr gläubig? Haben Sie kein Vertrauen mehr in… Sie wissen schon…«
    Anny sah auf und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Oh, ich glaube fest, dass ich Sam wiedersehen werde, aber Greg hat jeglichen Glauben verloren. Wenn es Gott gäbe, so meint er, hätte er nicht zugelassen, dass Sam stirbt, und das mit sechzehn Jahren.«
    Samuel schwieg einen Moment lang andächtig. »Wieso ist er denn, wenn ich fragen darf, so früh aus dem Leben geschieden?«
    »Oh«, seufzte sie aufgewühlt, »oh, es war furchtbar… ein furchtbarer Tod… Sam hatte gerade den Führerschein für sein Motorrad gemacht, und auf seiner ersten Fahrt hat ihn ein Auto gerammt. Der Fahrer sah ihn, und dennoch… dennoch hat er nicht gebremst. Ich sehe ihn noch am heutigen Tage vor mir, wie er sagte, dass Motorräder nur eine Belästigung im Straßenverkehr seien, und dass er Kansas nun von einer solchen befreit habe.« Sie brach nicht in Tränen aus, wie Samuel erwartet und verstanden hätte. Sie gab überhaupt kein Geräusch von sich, und dies fachte seinen aufkeimenden Zorn nur noch weiter an.
    »Er hat Ihren Sohn einfach überfahren und das zu Ihnen gesagt?« Samuel glaubte, er hätte dem Kerl seine Innereien nach außen verlagert. Wut brodelte in seinem Innern und türmte sich brüllend auf, gleich einem tobenden Monster. Nur mühsam widerstand er dem Drang, aus seinem Körper zu fahren und die Pforte zur Unterwelt zu öffnen, um seinen aufwallenden Gefühlen freien Lauf zu lassen.
    Anny aber schien seine Gelüste nicht einmal in Ansätzen zu teilen. Sie entgegnete ruhig, aber mit wenig Überzeugung: »Ich habe Trost gesucht und denke, Gott will nicht, dass man Hass oder Tobsucht empfindet. Ich gab mich voll und ganz der Trauer hin, aber Gregory hat ihm nie verziehen. Bei ihrer ersten Begegnung hat er ihm ins Gesicht geschlagen, und man hat ihn wegen Körperverletzung vor Gericht gebracht.«
    »Aber das Gericht«, setzte er mühsam beherrscht an. »Es hat ihn doch sicher bestraft nachdem, was er Ihrem Sohn und Ihnen angetan hat?«
    Anny schwieg tiefbedeutend. »Man hat es als einen Unfall abgetan, einen einfachen Unfall, und wir sollten so viel Schmerzensgeld für Gregs Ausrutscher zahlen, dass wir Sams Motorrad weggeben mussten. Es war das wichtigste, was uns noch an ihn erinnert hat, denn er liebte dieses Gefährt. Greg hat es ihm geschenkt, musst du wissen, und er hat sich so lange gegen den Verkauf gewehrt wie er konnte. Bis das Gericht die Maschine pfänden ließ.«
    Samuel hörte zu, ohne noch irgendetwas zu fühlen außer heißloderndem Zorn. Zorn, wie er nur einem Dämon innewohnen konnte. Er verselbstständigte sich, toste durch seine Aura und ließ sie erbeben. Sein Blick verschwamm, und als er seine Wange berührte merkte er, dass ihm Tränen in den Augen standen. So fühlte sich also Trauer an.
    Nein, das war keine Trauer. Es war Hass, und die Tränen waren Zornestränen.
    Zornestränen, wie er sie selbst vor Jahrzehnten vergossen hat, bevor ihn die Unterwelt dieser fleischlichen Lüste beraubte.
    Zornestränen, als man ihm seine Bethany nahm.
    Die entsetzliche Hilflosigkeit, als er sie tot auf der Straße liegen sah, in einer Blutlache, die sich um ihren Kopf herum ausbreitete.
    Das Inferno aus Blaulicht und Sirenengeheul, das er wieder sah und hörte, als sei es der jüngste Tag. Der Tag, als er noch ein Mensch war. Der Tag, an den er sich nie wieder erinnern wollte.
    »Aber es kam noch schlimmer…«, fuhr Anny nach einer Weile fort, und Samuels Gedanken sprangen zurück in die Wirklichkeit. »Das Geld reichte ihm nicht. Er behauptete, Greg hätte ihm das Nasenbein und die Gesichtsknochen zertrümmert, was erst später festgestellt worden sei, und nun wäre das gezahlte Schmerzensgeld nicht mehr ausreichend. Er verlangte sehr viel mehr von uns. Wir gaben alles her, um endlich mit der Sache abschließen zu können, und nun bleibt uns nur noch unser Haus. Aber auch das reichte nicht, um die Forderungen zu erfüllen. Es wird nicht mehr lange dauern, bis unser Haus zwangsgeräumt wird. Ich weiß nicht, wo mein Mann und ich hingehen sollen, wenn es so weit kommt, und das ohne Sam.« Anny sprach am Ende so leise, dass Samuel sie kaum noch verstand. Aber er hörte ohnehin nichts mehr außer dem Echo seines Gefühlsbebens. Seine Hand hatte sich zur Faust geballt, und warmes Blut floss aus den halbmondförmigen Wunden, die seine Fingernägel hinterließen. Er zitterte, aber nicht vor Angst oder Kälte. Seine Wut brodelte immer höher auf der Suche nach einem Ventil, und nur unter eiserner Kraft hielt er seinen Geist davon ab, aus dem Körper herauszuschießen. Immer tiefer und tiefer versank er in die innere Tobsucht, und schließlich fühlte er seine Energie auf die Umgebung überspringen. Für die Dauer eines Lidschlags wackelte die Fassade, dann zersprang die Glühbirne über ihren Köpfen. Anny fuhr zusammen und sah auf, doch nur für den Augenblick, ehe sie beide von Dunkelheit eingeschlossen wurden.


    Ist etwas viel, weil das Kapitel so lang war...

  6. #26
    Rookie Avatar von Fantasyfan
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    Zugabe ;-)

  7. #27
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    Du stellst eindeutig einen Leserekord auf... Ein Hinweis: Ich benutze für die Kennzeichnung von Gedankengängen sehr gern das Kursive; da hierbei alles kursiv ist bzw. solche Einstellungen nicht im Forum übernommen werden, müsstet ihr euch am Präsens orientieren

    »Greg? Hast du die Lampe gefunden? Pass auf die Scherben auf!«
    »Ja, Liebling. Ich werde doch wohl eine Birne auswechseln kön-nen.«
    Anny durchsuchte die Schubladen im Küchenschrank nach einer Taschenlampe, während ihr Mann im Wohnzimmer an der Lampe werkelte und fluchte, als er sich an einem Splitter schnitt. Kurz darauf aber wurde das Zimmer erhellt, viel ergiebiger als zuvor. »Dem Himmel sei Dank«, stieß Anny erleichtert hervor. »Kannst du mir verraten, was das eben war?«
    »Ich schätze, ein leichtes Erdbeben«, sagte Greg, »auch wenn ich noch nie eines in dieser Gegend erlebt habe. Aber wie sagt man? Für alles gibt’s ein erstes Mal, nicht?« Er lachte warm und strich Samuel über den Kopf, der für seinen Teil mehr als beschämt darüber war, so die Kontrolle über sich verloren zu haben. Er konnte wahrlich von Glück reden, dass die beiden nicht den geringsten Verdacht geschöpft hatten. Nun gab es keinen Platz mehr für Beschönigungen; Samuel wurde mit aller Deutlichkeit bewusst, dass er sein Limit überschritten hatte. Es war Zeit zu gehen. So weh es ihm auch tat, Anny und Greg zurückzulassen, so klar war ihm auch, dass ihn diese Geschichte nichts anging. Er hatte seinen Auftrag, und die Konsequenzen, wenn er nachhaltig und unerlaubt auf den Lauf des Schicksals einwirkte, waren unabsehbar. Diese pragmatische Skrupellosigkeit musste ein jeder Dämon verinnerlichen, und er war keine Ausnahme.
    Doch er beruhigte sein Gewissen; aufgrund der Schwere dieser Ungerechtigkeit war sicher schon ein anderer Kopfgeldjäger auf den Mistkerl angesetzt worden und würde sich der Sache annehmen. Auch wenn er insgeheim befürchtete, dass dieser vielleicht zu spät käme.
    Ein Klingeln an der Tür riss Samuel aus seinen Gedanken. Anny fuhr auf dem Absatz herum, und Greg warf seiner Frau einen unheilvollen Blick zu. Sein Gesicht verfinsterte sich, wie Samuel es nie erwartet hätte. Dann griff er ihn merkwürdig sachte bei den Schultern und zog ihn tiefer ins Wohnzimmer. »Komm, Anny«, sagte er, instruierte Samuel, an Ort und Stelle zu bleiben, und trat mit seiner Frau hinaus in den Flur. Seltsam hohlklingende Schritte waren auf dem kurzen Korridor zu hören, dann das Quietschen einer Tür.
    Es vergingen einige Sekunden, in denen Samuel nichts mehr hörte, denn die dicken Wände schienen jegliche Gespräche zu schlucken. Von einer dunklen Vorahnung getrieben schlich er in die Küche, um an der Tür zu lauschen; nun konnte er tatsächlich einige Fetzen auf-schnappen: »Einen Scheiß werden Sie tun, Sie verfluchter Bastard! Ist es Ihnen noch nicht genug, dass Sie unseren Sohn getötet haben?«
    »Greg, ich bitte dich!«, flehte Anny, und Greg sagte noch etwas, das Samuel nicht verstand.
    »Sie vergessen sich, mein Lieber«, fiel eine andere Stimme in blasiertem Tonfall ein. »Seien Sie gewarnt, dass Ihnen nicht noch einmal die Hand ausrutscht. Sie wissen ja, was sonst passiert. Nur haben Sie dann gar nichts mehr, um Ihre Schuld zu begleichen.«
    Samuels Finger krallten sich im Holz fest, während er weiterhörte.
    »Erzählen Sie mir nichts von Schuldigkeit, Sie verlogener Dreckskerl! Sie werden dieses Haus nicht kriegen, und wenn Sie mich mit einer Pistole bedrohen.«
    »Greg! Nicht!« Annys Stimme klang schrill und verzweifelt, und Samuel konnte nicht anders, als die Tür einen Spalt weit zu öffnen. Zunächst sah er nur die Rücken der beiden. Der Alte sah aus, als wolle er sich jeden Moment auf den Kerl stürzen, der da vor ihm stand, nur zurückgehalten von Annys Arm. Als er sie in einer unwillkürlichen Geste näher an sich heranzog, gab er kurz den Blick durch die Tür frei.
    Samuels Herz machte einen Hüpfer, der ihm die Luft abschnürte. Was in drei Teufels Namen…? Nein… Das kann doch nicht…
    Er schüttelte den Kopf, doch es gab keinen Zweifel. Der Mann, der dort in der Tür stand, war Moore. Der Kerl, auf den er angesetzt worden war. Bildfragmente blitzten in loser Abfolge vor seinem geistigen Auge auf; das Antlitz, welches Azazel im Feuer geformt hatte; die Mahnungen, die ihm Meredith durch ihren Geist übermittelte. Er musste es sein. Samuel schlug die Finger so fest ins Holz, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
    »Morgen früh um zehn Uhr sind Sie aus dem Haus verschwunden, andernfalls werde ich die Räumung mit Gewalt durchsetzen. Und glauben Sie mir: Das wird kein Vergnügen. Jedenfalls nicht für Sie.«
    »Sie werden sich noch wundern, wenn Sie tatsächlich glauben, dass wir den Schwanz einziehen und vor Ihnen zu Kreuze kriechen!«, donnerte der Alte und zog seine Frau noch enger an sich. Dann erschlafften seine Schultern, und er starrte Moore unverwandt in die Augen. »Ich wünsche, dass der Teufel Sie holt und in die Höl-le nimmt, Sie geldgieriges Arschloch«, fügte er gefährlich leise hinzu, was Moore nur eine dreckige, zuversichtliche Miene ziehen ließ.
    »Der Teufel? Oh, ich bitte Sie. Wie pathetisch. Der Teufel kann ruhig zu mir kommen, wenn er sich traut. Dann bis morgenfrüh, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.«
    Samuel kniff die Augen zu zwei Schlitzen zusammen. Für einen Moment verschwamm seine Sicht in hunderte verfremdeter Farben, doch keineswegs durch Tränen. Er hatte in die Dämonensicht übergewechselt, und für die Dauer weniger Sekunden schoben sich beide Blickfelder übereinander. Er spürte, wie seine Augen gelb aufglüh-ten. Sein Gebiss schmerzte; vermutlich hatte er vor Zorn seine Fangzähne ausgefahren. Das lässt sich einrichten, dachte er, und eine stählerne, alles verschlingende Wolllust ergriff von ihm Besitz. Komm nur, dann werde ich dich gebührlich empfangen.


    *

    »Ich bitte Sie! Sie müssen mich mit ihm reden lassen«, flehte Sa-muel, kam sich aber trotz aller Vorsätze töricht vor. Er wusste, dass er den Alten in eine Situation brachte, die nur eine einzige Option freiließ. Natürlich war es aus seiner Sicht absolut undenkbar, einen fremden Jungen in dieser persönlichen Angelegenheit vorzuschieben, was selbst dann absurd gewesen wäre, wenn sich die Situation weniger heikel gestaltet hätte. Greg und Anny wussten nicht, wer – oder besser: was – er in Wirklichkeit war, und er konnte unmöglich mit offenen Karten spielen, um seine Anweisungen durchzusetzen. Abgesehen davon, dass die beiden ihn bestenfalls für übergeschnappt halten würden, wäre der gegenteilige Fall mindestens ebenso prekär. Azazel würde ihm die Haut vom Leibe reißen, wenn er nur ein Wort über seine wahre Identität verlöre, und Meredith würde die Reste über dem Höllenfeuer am Spieß grillen.
    Aber aller Widrigkeiten zum Trotz hatte er die Pflicht, alles in seiner Macht stehende zu tun, um den positiven Fall herbeizuführen. Unter gewöhnlichen Umständen hätte er die Sache abgeblasen, wenn sie wie jetzt zu risikoreich wurde, doch dieses Mal war ein entscheidender Faktor mit von der Partie: Er fühlte sich persönlich betroffen. Samuel wollte den Kerl in der Luft zerreißen, sein Blut von den Fingern lecken und das Fleisch an die Höllenhunde verfüttern. Er war sich sicher, in all den Jahren nie einen Auftrag gehabt zu haben, dessen Ende ihn mehr befriedigen würde als dieses.
    »Das ist wirklich so lieb von dir«, sagte Anny verständnisvoll und in einem Tonfall, als würde sie mit einem kleinen Jungen reden, »aber wenn du uns wirklich helfen willst, dann verschwinde aus diesem Haus, bevor er wiederkommt.« Sie klang durchaus ruhig, doch ein bisschen zu sehr, und zugleich schwang ein verbindlicher Unterton in ihrer Stimme mit, der ihre ganze Schwermut zum Ausdruck brachte. Samuel wurde zunehmend verzweifelter; er wusste nicht, wie er es ihnen klarmachen sollte, klarmachen musste. Unschlüssig fuhr er herum, dann erwiderte er: »Bitte… Sie beide haben so viel für mich getan… Lassen Sie mich jetzt etwas für Sie tun.«
    Der Alte war kurz davor, ihm erneut für seinen guten Willen zu danken und sein Vorhaben lobend zurückzuweisen, doch Samuel blockte ab, plötzlich ungehalten. »Nein, bitte verstehen Sie doch! Ich bin ein… ein…« Er kam ins Stottern, fing sich jedoch rasch wieder und korrigierte eilig: »Ich meine, ich kann Ihnen helfen. Wirklich. Sie wissen noch nicht wie, aber ich werde es Ihnen zeigen, wenn Sie mich nur lassen…« Er versuchte ernst auszusehen, und tatsächlich begannen Gregs Gesichtszüge zu erweichen. Doch nur, wie Samuel kurz darauf unzufrieden quittierte, um sich seufzend abzuwenden. »Bring ihn zu Bett, Anny. Sieh zu, dass er das Haus morgen verlassen hat.« Damit ging er die Treppe hinauf, und die unselige Atmosphäre seiner Niedergeschlagenheit nistete sich wie ein bösartiges Tier im Innern des Hauses ein. Samuel blickte ihm nach, und seine eigene Niedergeschlagenheit wich bald einem bitteren Gefühl der Furcht. Morgen würden er und seine Frau auf der Straße sitzen, sofern es ihm nicht gelang, mit Moore allein zu sein.

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