Das Feuer färbte den Nachthimmel blutrot, Funken stoben ununterbrochen nach oben, oder fielen wie Regen wieder zu Boden. Wo immer sie landeten, schlug eine weitere Flammen in die Höhe. Es spielte keine Rolle wer das Feuer entfacht hatte. Die wackligen Holzhütten des Viertels wirkten wie frischer Zunder, und das flammende Inferno verschlang ein Gebäude nach dem anderen.
Und inmitten dieses Feuersturms versuchten sich die verzweifelten Elfen in Sicherheit zu bringen.
Unter ihnen ein dürrer verdreckter Bengel in hundertfach geflickten, viel zu großen Klamotten, aus denen irgendein Vorgänger im Waisenhaus herausgewachsen war.
Ein Waisenbengel mit zwei verschieden gefärbten Augen.
Der Aufprall schickte ihn zu Boden. Tritte und Stöße trommelten auf ihn ein, und immer wenn er versuchte wieder auf die Beine zu kommen, prallte ein anderer Körper gegen ihn und warf ihn wieder zurück. Auf allen Vieren kriechend gelang es Rowen, aus der Masse von panisch flüchtenden Elfen zu entkommen. Endlich wieder aufrecht stehend, drückte er sich gegen die hinter ihm befindliche Hauswand, um ein paar Sekunden lang wieder Luft zu schnappen. Der Strom der Flüchtenden war mit einem Male abgerissen, und die Schreie derer, die es nicht geschafft hatten, gellten aus viel zu geringer Entfernung durch das ganze Viertel.
Nur eine Frage von Minuten, bis Menschen und Kampfhunde ihre Arbeit getan hatten und ein weiteres Mal die Verfolgung aufnehmen würden.
Rowen rannte los, so schnell wie es einem dürren Waisenknaben von höchstens neun Jahren eben möglich war. Ständig hing sein Blick an den Hauswänden. Er kannte hier hunderte Verstecke, doch kein einziges davon fand er. Mit jeder Minute steigerte sich seine Panik.
Wohin? Wo war er?
Wo war es sicher?
Er erkannte die Gasse nicht, er erkannte die Häuser nicht. Er fand keinen bekannten Punkt, der ihm in all dem Chaos verraten hätte, wo er sich befand. Bestimmt war es dem beißenden Rauch geschuldet, der wie undurchdringbarer Nebel im ganzen Viertel hing, und bei dem jungen Elfen tränende Augen sowie bei jedem keuchenden Atemzug ein widerlich brennendes Kratzen im Hals hinterließ. Mit wachsender Verzweiflung rannte er die Gasse entlang, versuchte hier und dort nach oben zu klettern, weg von der mit verstümmelten Leichen gepflasterten und blutgetränkten Straße.
Nach oben wo es sicher war. Weg von den Soldaten. Weg von den Aufständischen.
Doch jedesmal wenn er seine Finger um eine Kante schloss und sich hochzog, zerbröckelten sie ihm unter den Fingern und schickten ihn mit einem immer schmerzhafteren Aufprall wieder nach unten.
Rowen rannte weiter, wobei er langsam durch Rauch und völlige Überanstrengung mehr wankte als rannte. Doch konnte er sich keine Verschnaufpause gönnen, und noch kam er vorwärts.
Wohin?
WOHIN?
Nirgends gab es Sicherheit, nirgends gab es Schutz.
Nicht einmal vor dem Lärm konnte er seine Ohren schützen, nicht vor dem martialischen Geschrei sterbender Elfen, in brennenden Häusern gefangener Frauen und Kinder. Auch nicht vor dem mordlüsternen Gebrüll der Menschen oder dem donnernden Bellen der riesigen Kampfhunde.
„Nicht.... stehenbleiben...“ versuchte er sich selbst anzutreiben. Aber er war am Ende, vor seinen Augen drehte sich alles und er bekam kaum noch Luft. „Weiter...“
Aber es nützte nichts. Er bog um eine weitere Hausecke in dieser endlos weiterführenden Gasse und ging keuchend und zitternd in die Knie, wo er verzweifelt nach Luft rang.
Wohin?
Der Lärm kam näher, wurde immer lauter. Rowen schleppte sich ein paar Meter weiter, hoffentlich außer Sicht, und kauerte sich gegen die Wand. Eisenbeschlagene Stiefel trommelten knapp hinter ihm vorbei. Dann... Stille.
Dem jungen Waisenknaben blieb kaum Zeit um sich darüber zu freuen, denn neben ihm wurde es plötzlich hell. Blendend hell. Flammen schossen in die Höhe. Gerade noch rechtzeitig warf er sich zur Seite, als die flammenden Zungen auch schon gierig nach ihm leckten und die Wand verschlangen, an der er eben noch gelehnt hatte.
Mit seinen letzten Reserven kämpfte der Elf sich auf die Füße und rannte ein weiteres Mal los, als es über ihm krachte und ein Hagel aus brennenden Brettern und Trümmern aus der Hauswand brach und hinter ihm auf die Straße regnete. Nur um Haaresbreite entging er dem flammenden Funkenregen, doch nützte es ihm nicht viel.
Endgültige Verzweiflung und lähmende Panik ergriffen von ihm Besitz, als er realisierte, dass er sich in einem von undurchdringlichen Häusern eingeschlossenen Innenhof befand. In einem Innenhof aus Häusern, die nun eins nach dem anderen von dem Feuer in Brand gesetzt wurden.
Und er mitten drin, wie eine Ratte in der Falle.
Kraftlos ging Rowen in die Knie, und schaffte es kaum den Blick auf das Unvermeidliche zu heben. Er hatte keinen Funken Energie mehr übrig, und die Verzweiflung die sich breit machte, raubte ihm den Verstand.
Nur eine einzelne Frage hämmerte in seinen, von Rauch vernebelten Gedanken.
Wohin? Gab es irgendeinen Weg um hier rauszukommen?