<--- Kreuzer „Progress“
23:10 Uhr
„Dekontamination abgeschlossen, keimfreie Umwelt eingerichtet. Willkommen zuhause, Captain.“
Die neutrale Stimme Eves säuselte aus den Lautsprechern, als sich die Türen zu Keel’os Yacht zischend öffneten. Er sah auf, noch etwas in Gedanken versunken und darüber nachdenkend, ob es sich wirklich so zugetragen hatte oder ob sich beide unter gänzlich anderen Umständen kennengelernt hatten, doch was änderte es jetzt? Sie waren tot, wie so viele andere auch, die vor dem Altar der Raffgier Corefields geopfert wurden, um mit ihrem Blut noch mehr Profit zu erkaufen.
„Eve, Abdockvorgang einleiten. Setze Kurs Sahrabarik-Massenrelais.“ Die VI bestätigte seinen Befehl und ein kaum spürbares Brummen durchfuhr das Schiff, gefolgt von einem leisen Surren. Er machte sich auf den Weg ins Bad, um die Zeit zu nutzen, sich etwas zu erfrischen. Die letzten Stunden, vor allem die Schießerei in den Wohngebieten, hatten an ihm gezehrt und am liebsten hätte Keel’o nun den Anzug, den richtigen, den quarianischen Anzug, von sich gestreift, um sich im Clean Room ein Bad zu gönnen, doch die Zeit hatte er nicht. Er streifte sich das Sakko von den Schultern, warf es achtlos auf die Couch der Lounge, und ging schließlich zum Waschbecken ins Bad. Keel’o krempelte die Ärmel seines Hemds zurück und wusch sich etwas das Visier, um anschließend einen Schlauch hervorzuziehen, der an die zentrale Wasserversorgung des Schiffes angeschlossen war. Am anderen Ende war ein Verschluss, welcher kompatibel mit allen gängigen Anzugmodellen der Quarianer war und Keel’o wollte ihn gerade anschließen, als sein Blick auf dem Monitor hängen blieb, der auf der gesamten Wand eine Aufnahme der Flottille zeigte. Die Schiffe zogen durch ein System dessen Zentralgestirn sich markant vor einer eisblauen Gaswolke hervortat und das strahlend weiße Licht seiner Strahlen blitzte zwischen den Konturen der Flottille hervor. Keel’o zögerte, senkte gar seinen Arm etwas, während sein Blick an dem bewegten Bild vor ihm hängen blieb. Sein Brustkorb wurde von einem merkwürdigen Gefühl durchfahren, beinahe so, als würden seine Lungen leichter werden und für einen Moment musste er seinen Atem beruhigen. Das war es also, wofür er kämpfte. Das war es, was auf dem Spiel stand. Wenn Corefields Bestrebungen schon zu fortgeschritten waren, wenn sie schon in der Endphase ihrer Planungen waren oder gar bereits erste Schiffe losgeschickt hatten… Er hob wieder den Arm, diesmal deutlich langsamer, schloss den Schlauch an seinen Anzug an und schloss beruhigt die Augen, als die erfrischende Nässe seine Haut bedeckte. Sein Anzug hatte automatisch den Kopfteil versiegelt, sodass nur das Gesicht gewaschen wurde, doch für den Moment musste das ausreichen. Nach einigen kurzen Momenten deaktivierte Keel’o den Zufluss und entfernte den Schlauch wieder, um das gebrauchte Wasser in die Wiederaufbereitung seines Schiffs zurückzuleiten. Dabei warf er einen letzten Blick auf den Bildschirm, der noch immer zeigte, wie die Flottille langsam, ja wahrhaft majestätisch an dem Stern vorbeischob, und sich schließlich abwenden wollte, als ein Knirschen ihn aufhorchen ließ, welches das gesamte Schiff durchfuhr. Einen Lidschlag später fiel die gesamte Beleuchtung aus und Keel’o verharrte in seiner Bewegung.
„Eve?“
„Hauptstromversorgung gestört, Notstromaggregat aktiviert“, surrte die Stimme, als die Schwärze verschwand, gleichzeitig jedoch das normalerweise helle Weiß der Innenbeleuchtung durch ein kühles, dunkles Blau ersetzt wurde.
„Was geht hier vor?“ Keel’o bewegte sich zügig aus dem Bad heraus, beziehungsweise versuchte dies, um dann jedoch an der Türverriegelung zu scheitern. Er vergaß: bei Versorgung durch den Notstrom schalteten die Türen um auf manuellen Betrieb.
„Zwei Eindringlinge. Kroganer, mittlere Bewaffnung. Sie versuchen, die Hauptschleuse zu öffnen.“
Keel’o schluckte schwer, unterdrückte dabei einen Fluch und joggte über die Lounge zu der Treppe, die hinauf in sein Schlafzimmer führte. Pekat war also doch nicht dumm genug, seine Männer gegen die Progress zu schleudern und in einer Materialschlacht zu verheizen, sondern der Schlange direkt den Kopf abzuhacken…
„Gegenmaßnahmen einleiten!“
„Bitte warten… Fehler: Verbindung zur Steuereinheit blockiert. Versiegelung eingeleitet.“
„Verdammte Scheiße!“, rief Keel’o aus und lockerte seine Krawatte. Die Kroganer hatten sich ein Virus besorgt und es zum Knacken der Zugangskonsole benutzt. Eve konnte sie jetzt nur noch vom Hauptsystem abschotten, doch das würde sie gewiss nicht lange aufhalten. Ein Klimpern war auf der anderen Seite zu hören und sogleich blitzte ein weißes Licht zwischen den beiden Schiebetüren auf. Ein Schweißbrenner… wer sagte es denn?
„Strukturelle Integrität der Hauptschleuse beeinträchtigt, Kontamination bevorstehend“, meldete Eve, während Keel’o mit der Faust auf einen Schalter an der Wand schlug. Zischend flog eine kleine Platte von einer Stütze der Treppe, um dahinter eine Maschinenpistole vom Format Locust zum Vorschein zu bringen. Keel’o zog die Waffe aus der Vorrichtung, kontrollierte hastig ihren Ladezustand und steckte sich ein paar Thermoclips in die Hosentaschen, als ein gefährliches Zischen hinter ihm sein Herz gefrieren ließ. Er drehte sich um und sah, wie zwei kroganische Hände in dem kleinen Spalt zum Vorschein kamen und die beiden Stahlplatten gefährlich schnell zur Seite schoben. Ohne lange zu zögern hastete Keel’o in die Küche, wo er sich hinter dem Tresen versteckte und vorsichtig hervorlugte. Mit einem lauten Knallen rasteten die zwei Teile der Tür ein und die beiden Kroganer betraten die Lounge. Der Vordere der beiden aktivierte das Licht an seinem Helm und schwenkte mit dem Leuchtkegel durch den Raum, wobei er das Sturmgewehr stets im Anschlag hatte, während sein Weggefährte hinter ihm ganz unruhig zu sein schien. Zehn nautische Meilen gegen den Wind, hätten sie denn noch eine Relevanz gehabt in der Entfernungsmessung seiner Zeit, hätte Keel’o sagen können, dass es sich bei dem Ungeduldigen um Pekat handelte, der es wohl kaum erwarten konnte, den Quarianer zu häuten – und zwar zweimal.
„Nun beweg schon deinen fetten Arsch“, raunte er und schob den anderen beiseite. Markant trat das Abzeichen des Blood Pack auf ihren Schultern zum Vorschein und der Quarianer schluckte erneut. Der Griff um seine MP versteifte sich, doch der Infobroker zwang sich zur Ruhe. Ein Plan musste her und zwar schnell.
„Pekat, wir können hier nicht einfach reinrennen, ohne-“
„Was soll die Ratte schon machen? Der ist doch eine halbe Portion, die ohne seine Soldaten keine halbe Minute durchhält. Hab ich Recht, Keel? Komm endlich raus und zeig dich, du Feigling!“
„Ich sehe in der Küche nach“, brummte der Geduldigere und Keel’o fluchte innerlich. Hastig zog er sich hinter den Tresen zurück. In seinem Kopf rasten die Gedanken wie auf den Highways Illiums. Im direkten Kampf gegen die zwei Kroganer hatte der Quarianer keine Chance. Innerhalb von Sekunden hätten sie ihn erledigt. Nein, er musste es geschickter anstellen… ein Plan begann zu reifen und Keel’o sah hinab auf seinen Schoß, schloss die Augen, um besser horchen zu können. Das Licht hatten sie ja praktischerweise schon für ihn abgeschaltet.
„Er muss hier irgendwo sein. Schließlich hat er seinen Zwirn hier rumliegen lassen.“ Wütend biss Keel’o die Zähne zusammen. Das ist feinstes Leinen von Thessia, du Barbar, waren Keel’os Gedanken, die er jedoch nicht aussprach.
Plötzlich klimperte es neben ihm und erschrocken sah er zur Seite: die Zylinder, aus denen er am Morgen noch Wasser getrunken hatte, waren durch seine Bewegungen ins Rollen geraten und vom Tresen gefallen. Der Kroganer, mittlerweile im Türrahmen angekommen, grunzte und entsicherte hörbar sein Gewehr.
„Komm raus“, murmelte er, bekam jedoch keine Reaktion, „komm endlich raus, du verdammte Anzugratte.“
Keine Reaktion. Der Kroganer machte zwei langsame Schritte nach vorne, hielt dabei mit seiner Helmlampe stets auf den Tresen und das Gewehr im Anschlag. Zwei weitere Schritte, doch noch immer konnte er nichts sehen. Gerade als er wieder nach vorne gehen wollte, kam Keel’o hinter seinem Versteck hervorgeschossen. Eine Bewegung seiner linken Hand ließ das Echsenalien die Kontrolle über seinen Waffenarm verlieren und erbarmungslos wurde er samt Sturmgewehr von der biotischen Energie brachial nach hinten gerissen. Zu den aus Reflex gelösten Schüssen, die jetzt irgendwo hinter ihm einschlugen und Pekat einen herben Fluch entlockten, gesellte sich ein kroganischer Schmerzensschrei. Die unnatürliche Verdrehung seines Armes raubte dem Kroganer Stabilität an der Waffe und so konnte ihm der entstandene Rückstoß mühelos das Handgelenk brechen. Keel’o drehte sich aber bereits auf dem Absatz zur Seite, aktivierte in der Drehung seine Omniklinge und nutzte den Schwung seiner Bewegung, um mit der Nahkampfwaffe den Helm des kroganischen Söldners zu durchtrennen. Ein feuchtes Blubbern bestätigte ihm, auch noch den Hals erwischt zu haben und die freie Hand des Echsenaliens schoss sogleich an die in regelmäßigen Abständen herausspritzende Fontäne. Keel’o, der mit seiner Bewegung neben dem Türrahmen zum Stehen gekommen war und somit den Kroganer von der Seite angreifen konnte, wusste jedoch, dass dies nicht genügen würde und löste aus nächster Nähe einige Salven aus seiner MP. Zusammen mit Pekats Schrotflintensalven, die der Gangboss ungezielt und mehr aus Wut, denn aus taktischer Weitsicht in Richtung Küche abgab, zerfetzte es den Kroganer regelrecht, dessen Schilde gegen die Nähe Keel’os und das Kaliber Pekats keine Chance hatten. Nummer Eins hatte er erledigt, doch lange freuen konnte sich der Quarianer über seinen Sieg nicht, denn das wütende Schnauben und Brüllen des zweiten Kroganers kam immer näher und das bedrohlich schnell. In seiner blinden Wut stieß Pekat den noch stehenden, aber bereits wankenden Leichnam seines Lakaien um, riss dabei Keel’o mit, der wie ein weggeworfenes Spielzeug über den Boden polterte. Pekat seinerseits unterschätzte den mitgenommenen Schwung, sodass er direkt in eines der Regale gekracht war. Die Sekunden, die der Kroganer benötigte, um sich selbst wieder zu orientieren und von den Glasscherben zu befreien, nutzte Keel’o, um sich wieder aufzurichten und gen Lounge zu flüchten. Pekat schaffte es noch, ihn am Kragen festzuhalten und zurück zu werfen, Keel’o den Boden unter den Füßen wegzureißen und ihn mit einem ohrenbetäubenden Schrei irgendwo zwischen Herd und Kühlschrank aufschlagen zu lassen. Sterne tanzten vor seinen Augen und der flache Atem des bewusstlos werdenden Quarianers beschlug von der Innenseite sein Visier. Zum zweiten Mal an diesem Tag flackerten etliche Fehlermeldungen über die Scheibe und zum zweiten Mal stellte er erleichtert fest, dass zumindest kein Riss im Anzug vorhanden war. Pekat stampfte jedoch noch weiter auf ihn zu, dabei durch die Enge der Küche und seine eigene Größe stark eingeschränkt, wobei er eine ganze Fülle von kroganischen Flüchen auf den Infobroker niederließ.
„Von dem Tag an, als wir uns das erste Mal gesehen hatten, wusste ich schon, dass du Ärger bedeuten würdest, du schleimiges Arschloch“, keifte der Gangboss und schleuderte einen Stuhl beiseite, der ihm im Weg stand. Bei Keel’o angekommen, zog er diesen an seinem Kragen in die Höhe und funkelte ihm direkt in die Augen. Da der Kroganer den Helm abgelegt hatte, konnte Keel’o direkt in die goldgelben Reptilienaugen blicken, die ihn voller Hass und Wut anblitzten.
„Ich werde dich hängen lassen. Nackt und völlig ausgeblutet, sollten meine Viecher noch etwas von dir übrig lassen, wirst du an Omegas höchster Laterne baumeln, nachdem ich dich persönlich über die Straßen geschliffen habe.“
Keel’o antwortete nichts. Er fühlte sich matt, kraftlos und besiegt. Keine seiner Extremitäten schien noch auf einen seiner Befehle hören zu wollen, die aus seinem Gehirn gefeuert wurden und zu den Sternen vor seinen Augen gesellte sich eine hartnäckige Schwärze, die sein Sichtfeld vernebelte. Er sträubte sich dagegen, aufzugeben oder einzuknicken, doch sein Körper wollte und konnte nicht mehr. Dann machte Pekat einen Fehler: er sprach weiter.
„Und wenn du erst einmal weg bist, dann werde ich jeden Quarianer einzeln jagen und zur Strecke bringen, die hier auf Omega auch nur einen Fetzen ihres Umhangs zeigen. Deine Zeiten sind vorbei, Q. Es wurde Zeit, dich endlich zu beseitigen.“
Keel’o knirschte die Zähne in seiner Wut und erwiderte jetzt den hasserfüllten Blick, anstatt einfach nur in seinem Glanz zu versinken. Nein, er konnte nicht sterben. Nicht jetzt und nicht hier, erst recht nicht so. Das würde er diesem Penner nicht gönnen, niemals. Keel’o zog den Abzug seiner MP bis zum Anschlag durch und innerhalb weniger Sekunden ertönte das markante Piepen des Thermoclips, der nach den unzähligen Schüssen, die wirkungslos im Boden eingeschlagen waren, völlig überfordert gewesen war. Pekat hatte kurz zur Seite gesehen und lächelte Keel’o jetzt kalt an.
„Du kleines Häufchen Elend, sieh dich an… erbärmlich.“
Der Quarianer ließ sich nicht großartig ablenken und aktivierte sein Omnitool. Mit einem lauten Knistern überluden die Schilde Pekats, doch anstatt zurück zu torkeln, hielt dieser den Griff um Keel’o fest gedrückt, verstärkte ihn sogar noch, um gegen die elektrischen Schocks ankämpfen zu können. Durch den Kontakt übertrugen sich die Schocks auch auf Keel’o, dessen Muskeln verkrampften und sich hoffnungslos versteiften. Ein rauer Schmerzensschrei war das einzige, was der Infobroker noch hervorbekam, als er gegen die Bewusstlosigkeit ankämpfte, den Schmerz zu unterdrücken versuchte, doch dabei hoffnungslos scheiterte. Er spürte jede Ader in seinem Körper und es fühlte sich an, als würden sie mit Eiswasser gefüllt einzeln herausgezogen werden. Eine einzelne Träne kullerte über Keel’os Wangen, der vor den ganzen Fehlermeldungen auf seinem Display die Augen zusammenkniff, doch selbst die Schwärze seiner Lider half nicht. Bilder von Freunden tauchten vor seinem inneren Auge auf; von Rin neben Zak, der sich lässig eine Zigarette anzündete und ihm zulächelte; von Megan, die mit zwei Fingern einen lässigen Salut andeutete; von Yviela, die erwartungsvoll und beinahe flehend ihren Kopf hob.
Entschlossen riss Keel’o die Augen wieder auf, verstärkte den Stromstoß über sein Omnitool noch einmal, was Pekat endlich den Griff lösen ließ. Keel’o fiel zu Boden, schaffte es jedoch, auf den Beinen zu bleiben – genau wie sein kroganisches Gegenüber. Der Gangboss funkelte ihn an, lachte dann zwar sichtlich erschöpft, jedoch höhnisch.
„Niedlich. Ich werde dich zerquetschen wie eine Fliege.“
„Du bist noch immer so blöd wie damals“, erwiderte Keel’o verächtlich und hob seine Locust. Pekat hatte gerade genug Zeit, seine Augen beim Anblick des glühend heißgeschossenen Laufs erschrocken zu weiten, ehe Keel’o das Rohr mit einem Zischen im rechten Echsenauge versenkte. Ein schmerzerfülltes Jaulen durchdrang die Küche und Keel’o nutzte den Moment, als Pekat seine Hände erschrocken auf sein völlig zerfetztes Auge drückte und quasi blind umherstolperte. Der quarianische Infobroker duckte sich unter einem Arm weg und flüchtete aus der Küche, weg von den Flüchen und Schreien des Kroganers und nach vorne zum Cockpit, wo die Steuerungseinheiten des Schiffs untergebracht waren. Blind torkelte der Kroganer ihm hinterher, vor Wut brüllend und die Schrotflinte in einer Hand haltend auf den Quarianer richtend, doch die ungenau abgefeuerte Salve schlug wirkungslos neben Keel’o in der Wandverkleidung ein. Der Quarianer konzentrierte sich auf eine Couch der Lounge, bündelte seine biotische Energie um sie herum und riss seinen Arm rabiat zur Seite. Angestrengt schrie er auf, den Schweiß auf der Stirn spürend, doch viel mehr, als das Möbelstück kraftlos über den Boden zu schieben, brachte der Quarianer nicht zustande. Pekat rempelte es an, verlor das Gleichgewicht und fiel auf die Knie, was Keel’o wiederum Zeit verschaffte, durch sein Büro ins Cockpit zu flüchten. Hektisch riss er die Tür wieder zu, wobei er gerade noch erkennen konnte, wie sich Pekat aufrichtete, dabei die Schrotflinte in den Boden rammte, um sich darauf abzustützen. Diese Tür würde ihn nicht lange aufhalten, also musste sich Keel’o beeilen. Hektisch nahm er vor der Kontrollkonsole Platz, legte dabei die Locust neben sich auf dem Tisch ab und begann schließlich damit, ein Diagnoseprogramm zu starten.
„Eve, Statusbericht! Wie kann ich die Energieversorgung wieder herstellen?“
„Ich habe die Schadsoftware bereits aus dem System entfernt. Um jedoch die Energieversorgung wiederherstellen zu können, müssen meine Sicherheitsroutinen neugestartet werden. Dieser Vorgang kann einige Minuten dauern.“
„Bosh’tets“, raunte Keel’o wütend und tippte die entsprechenden Befehle über die Benutzeroberfläche ein, als ein Krachen an der Tür zu hören war.
„Komm raus, Keel“, tönte es von der anderen Seite, ehe Pekat erneut gegen die Tür schlug, „oder ich komme rein!“
Erschrocken blickte der Quarianer auf, warf einen hastigen Blick zur Tür, ehe er sich wieder der Diagnose widmete.
„Beende Hintergrundprogramme“, las er leise die Meldung auf dem Bildschirm vor, „Neustart initialisiert.“ Die Anzeige wechselte zu einem Ladebalken und Keel’o seufzte. Jetzt musste er nur noch durchhalten, doch Pekat machte mit einem weiteren Schlag deutlich, dass dieser ihm wohl nicht die benötigte Zeit geben würde. Die Anzeige auf dem Bildschirm beruhigte den Quarianer auch nicht gerade.
Systemneustart
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Bitte warten.
Ein weiterer Schlag gegen die Tür. Keel’o biss sich auf die Lippe, griff nach seiner Locust und gab ein paar Schüsse durch den bisher entstandenen Spalt ab, welche jedoch nur in höhnischem Gelächter und sehr unangenehm klingenden Drohungen von der anderen Seite resultierten.
Systemneustart
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Bitte warten.
Keel’o konnte hier nicht bleiben, er hatte einfach nicht genug Zeit. Doch wohin? Durch die Tür konnte er nicht, denn um Pekat in die Arme zu laufen, war er noch nicht suizidgefährdet genug. Keel’o fasste einen Entschluss, der jedoch ähnlich waghalsig war: er ging zu einer Luke, die eigentlich nur für den Notausstieg gedacht war. Dass es sich in diesem Fall jedoch um eine Notsituation handelte, wagte wohl niemand zu bestreiten, doch Keel’o schien diese Maßnahme doch etwas verzweifelt. Er griff nach dem Hebel direkt neben der Luke, ein markant rot-gelber Kunststoffverbund, der mit Warnzeichen und Anweisungen in sämtlichen Sprachen versehen war. Mit einem Ruck riss er ihn zur Seite und die Hydraulikschlösser, die einzigen Türvorrichtungen, die selbst bei Notstromversorgung noch funktionierten, schoben die schwere Luke mit Mühelosigkeit innerhalb eines Lidschlags zur Seite. Sofort wurde sämtliche Luft hinaus in das Vakuum des Alls gesaugt und Keel’o ergriff, dabei gegen den Sog ankämpfend, die Streben, über welche er nach draußen klettern konnte.
Erschöpft zog sich Keel’o aus dem kleinen Schacht heraus, der an der Außenhülle seiner Yacht auf Höhe des Cockpits mündete. Er aktivierte die Magnetisierung seiner Stiefel und setzte erst den rechten, dann den linken auf, welche sich mit einem seichten Klicken an der Hülle quasi festsaugten. Keel’o sah sich für einen Moment um. Die Yacht war bereits abgedockt und von den Haltehaken gelöst, sodass sie quasi hilflos durch das All trieb. Die Kroganer mussten den richtigen Zeitpunkt abgewartet haben, ehe sie eindrangen, damit das Schiff zwar vom Rest der Station abgeschnitten, jedoch noch nicht außer Reichweite war. Über Keel’os Kopf erstreckte sich der Sternenhimmel, während sich Omega auf der einen Seite Meter um Meter von der Yacht entfernte.
„Eve… Eve!“, funkte Keel’o über die Kommunikationssysteme seines Helms, doch die VI antwortete nicht. Natürlich tat sie das nicht, schließlich wurde sie gerade neugestartet. Keel’o fluchte leise und humpelte Richtung Heck des Schiffes, weg von dem Notausstieg, den die Asari in ihrer Umsicht und Rücksicht auf andere Kulturen auch für Kroganer breit genug gemacht hatten. Seine Krawatte schwebte dabei schwerelos vor seinem Visier und durch die magnetisierten Stiefel fielen dem ohnehin schon angeschlagenen Quarianer sämtliche Bewegungen noch schwerer. Er strauchelte, stützte sich mit der Hand auf der silber-glatten Oberfläche des Schiffes ab und übergab sich in seinen Anzug. Eine gelbliche Anzeige leuchtete auf, die die Konturen eines quarianischen Männerkörpers zeigte und daneben eine Schnelldiagnose auflistete. Sein Puls war erhöht, genau wie der Blutdruck. Er hasste es, Biotik einzusetzen, denn schon bei der geringsten Anstrengung machte sein Körper schlapp – und eine Couch durch die Lobby zu fetzen war für ihn schon ein halber Marathon. Völlig entkräftet sah Keel’o zur Seite, in Richtung des Asteroidenfeldes, in welches die Yacht stürzen würde, wenn nicht bald etwas geschehen würde Als wäre das nicht schon schlimm genug, kletterte auch noch Pekat aus der Luke auf Höhe des Cockpits. Der Kroganer hatte sich eine Atemschutzmaske über das Gesicht gespannt, sodass Keel’o ohne Probleme das hämische Grinsen der Echse sehen konnte, als jene mit der Schrotflinte auf der Schulter auf ihn zugeschlendert kam.
„Eins muss man dir lassen, Keel. Du bist ein ziemlich zähes Bürschchen“, der Kroganer lud seine Schrotflinte durch und legte auf den Quarianer an, „aber du bleibst ein Schwächling.“
Keel’o sah für einige Augenblicke, die ihm selbst wie eine Ewigkeit vorkamen, beinahe etwas verträumt dem ausgeworfenen Thermoclip nach, der neben Pekat ins All hinaus schwebte, ehe er geradewegs in den Lauf vor ihm starrte und in seinem Hirn sofort der Ausnahmezustand auszubrechen begann. Tausende Gedanken schossen ihm durch den Kopf, doch keiner wollte so wirklich zur Lösung des Problems beitragen. Er senkte den Blick. Im Gegenteil, er begann über völlig banale Dinge nachzudenken, die ihm kein Stück weiterhalfen. Wird Zak ihn rächen wollen? Selbstverständlich würde er das. Doch dann? Ihn beisetzen? Hatte er mit ihm überhaupt schon einmal darüber gesprochen, wie er bestattet werden wollte?
„Willst du mir noch etwas sagen, bevor ich dir das Visier zertrümmere?“
Keel’o sah erschrocken auf. Pekat stand noch unverändert vor ihm und das anfängliche Stimmengewusel im Kopf des Quarianers wich einem Gebrüll, einem Schrei, der unisono erklang, jedoch aus tausenden von Stimmen bestand. So schlagartig wie er kam, verstummte dieser Schrei aber auch wieder, als Keel’o seine Rettung erblickte. Ein Ausweg aus dieser Situation. Die Lösung seiner Probleme. Er lächelte.
„Guten Flug.“
Der Kroganer runzelte die Stirn und legte seinen Kopf schief. Erst als der Schatten der Bolter sich über ihm abzeichnete, dämmerte es der Echse und sie drehte sich langsam um, nur um geradewegs in den Lauf der Bordkanone des kleinen Jägers zu starren, der sich nun zwischen das Zentralgestirn und Keel’os Yacht geschoben hatte. Der Blickkontakt hielt nur für eine kurze Sekunde, ehe ein gleißender, eisblauer Strahl aus der Waffe abgeschossen wurde und den monströsen Kroganerkörper regelrecht zerfetzte. Das Geschoss hingegen flog ungebremst weiter und schlug einige hundert Meter entfernt in einen Asteroiden ein, der in dutzende kleinere Fragmente gesprengt wurde. Keel’os Atem bebte und nur langsam senkte der Quarianer den zum Schutz erhobenen Arm. Das einzige, was noch von dem Eindringling zeugte, war ein Paar kroganischer Füße, die von den Knien aufwärts vom Körper gerissen waren, unverändert dastanden und aus den Wunden leicht rauchten.
„Nie kann ich dich mit den anderen Kindern spielen lassen“, kam es aus dem Jäger, als Keel’o die Fußstumpen wegkickte und damit dem restlichen Körper in Richtung Asteroidenfeld hinterherschickte.
„Ab zur Progress, Megan. Jetzt“, der Jäger drehte ab und Keel’o seufzte, „und… gute Arbeit.“
Mit einem Ächzen hob er wieder seine Locust auf, die er in seinem kopflosen Umhertorkeln auf seiner Yacht fallen gelassen hatte, um sich unter ähnlichen Lauten wieder durch den Notausstieg zu zwängen. Ihm selbst kam dieser schon sehr eng vor, also wollte er gar nicht erst wissen, wie sich ein Kroganer wohl darin fühlen würde; geschweige denn, wie diese sperrigen Viecher überhaupt durch die Luke passen sollten, doch der Quarianer verschwendete keinen weiteren Gedanken daran. Wieder im Cockpit verschloss er die Luke und sah auf den Bildschirm, der ihm die frohe Kunde brachte, der Neustart der VI sei abgeschlossen. Er gab sein Masterpasswort ein und reintialisierte Eve, was zeitgleich zur Folge hatte, dass die bläuliche Notbeleuchtung dem normalen Weiß wich.
„Neustart abgeschlossen, Sicherheitsroutinen überprüft. Die Systeme der Callisto sind sauber und voll funktionsfähig, Captain. Warnung: Innenraumkontamination festgestellt.“
„Bring uns zum Sahrabarik-Relais, Eve“, seufzte Keel’o und glitt durch den Spalt, den Pekat durch die Cockpittüre gedroschen hatte, „und lüfte mal das Schiff. Ich will gar nicht erst wissen, was dieser Barbar alles auf seiner Rüstung mit sich herumgeschleppt hat.“