James Herlock
Tag 5, 08.04.2184, 19:35 Uhr
Die diebische Elster
„Ja, Sir. Mein Name ist Teeyla’Nora nar Alkyon.“, gab sie stockend ihren Namen Preis und ließ sich augenscheinlich eingeschüchtert zurückfallen. Jim drehte den Ring zwischen seinen Fingern und fühlte wie sich die Marken langsam ins Fleisch schnitten. Diesen Namen musste er sich merken. Nar Alkyon hallte es in seinem Kopf wider. Innerlich verfluchter er die Quarianer für ihre Umweltanzüge. Man konnte nie ihr Gesicht sehen, sofern sie überhaupt eines besaßen. Jim hatte noch nie davon gehört, dass man einen Quarianer ohne seinen Anzug gesehen hatte.
Sie ließ Kopf und Schultern hängen. Ein ehrliches Zeichen der Reue. Oder war es doch nur gespielt? Jim hatte so seine liebe Mühe, die Taschendiebin einzuschätzen. Er musste sich rein auf die Körpersprache verlassen. Und diese war schon im Normalfall schwerer zu lesen, als die Mimik des Gesprächspartners. Und die verzerrten Stimmen dieser Aliens, taten nichts dazu bei. Jim versuchte sein bestes, um die Situation unter Kontrolle zu halten.
„Ich wusste natürlich, dass es verboten ist aber… Ich bin noch nicht lange von zu Hause weg.“
Jim meinte so etwas, wie weinerliches Schluchzen aus der elektronisch verzerrten Stimme zu hören.
„Aber schon wurde mir mein Geld gestohlen, niemand will mir helfen oder mich einstellen. Ich will doch nur essen.“
Sie hob wieder den Kopf. Ihre Worte klangen für Jim glaubhaft und er war fast geneigt, ihr etwas Geld zu geben, hätte er denn welches bei sich gehabt. Aber vielleicht würde Mike ihm ja aushelfen? Nein. Würde er nicht. Im Gegenteil. In seiner Welt, hätte man dem Taschendieb die Hand abgeschlagen. Als Warnung. Er hätte dieses Verhalten auch nicht noch belohnt.
Jim lies sich, die Worte nochmal durch den Kopf gehen und machte sicherheitshalber einige Schritte zur Seite. Dass er ihr dabei den Rücken zu wandte, war Absicht. Er wollte eine ehrliche Reaktion ihrerseits erzwingen, denn sie hatte sich mehr oder weniger Verraten. Die Art und Weise, wie sie ihre Flucht angetreten hatte, die Dreistigkeit, mit der sie ihn bestohlen hatte und die zuletzt gesprochenen Worte, ließen in Jim Zweifel an der Aussage aufkeimen.
Es wollte einfach nicht zusammen passen. Das sie bestohlen worden ist könnte durchaus noch die Wahrheit gewesen sein. Das ihr niemand helfen oder sie einstellen wollte, lag wahrscheinlich an den allgemein bekannten Vorurteilen gegenüber ihrer Spezies. Durch ihr Handeln bestätigte sie diese Vorurteile allerdings und das würde ihr noch weniger helfen. Offensichtlich war allerdings, dass das Mädchen alles dafür geben würde und auch alles sagen würde, nur um hier ungeschoren davonzukommen. Jim kannte das. Er war auch mal so. Allerdings vor sehr langer Zeit. Aber wirklich daran erinnern konnte er sich nicht mehr. Schade eigentlich, wie er fand.
Mike wurde ungeduldig. Er räusperte sich mehrfach und begann unruhig sein Gewicht zu verlagern, um im Notfall einen besseren Schuss platzieren zu können.
„Alkyon. Es muss ein sehr stolzes Schiff sein, wenn sie solch gute Läufer wie dich hervorbringt, oder?“ Jim kannte, die Namensgebung der Quarianer. Er wusste um die Bedeutung des kleinen Wortes ,nar'.
„Man könnte sagen, dass mein Name früher mal Rear Admiral James Herlock vas Galilei gewesen war.“ Er sagte es mit einer Leichtigkeit, die ihn selbst überraschte. Dennoch bemühte er sich, ihre Kultur nicht zu beleidigen. Es sollte ihr nur Helfen, sich mit ihm zu identifizieren. In ihm kein Monster zu sehen, dass nur ihren Tod oder schlimmeres wollte. Er wollte ihre Reaktion abwarten. Noch immer stand er mit dem Rücken zu ihr. Wenn sie ihn nun angriff, hätte sie ihr Schicksal verdient. Aber der Angriff blieb aus. Jim atmete erleichtert aus: „An deinen Lügen solltest Du noch etwas arbeiten, Mädchen. Sie klangen gut, waren aber nicht perfekt.“ Er drehte sich wieder um und lächelte freundlich das undurchsichtige Visier an: „Zu Essen bekommt man in diversen Obdachlosenasylen genug. Du findest davon dutzende, hier in den Bezirken. Wenn Du weiter stiehlst, bestätigt das nur die Vorurteile gegenüber deiner Spezies und zukünftige Pilger werden es schwerer haben, ihre Reise zu beenden.“
Er nickte Richtung Mike, der das Zeichen verstand und den Weg freigab: „Merk dir meine Worte. Jeden Mist, den Du baust, wird unweigerlich auch auf andere Quarianer zurückfallen. Und nun seh zu, dass du Land gewinnst.“ Im Gegensatz zu Mike, glaubte Jim an das Prinzip der zweiten Chance.
19:40 Uhr