Es dauerte einen Augenblick bis Rhaego die schäbige Kammer wahrnahm, in der sie übernachten würden. Seine Gedanken waren einen Augenblick bei den drei Kindern verharrt. Er wusste nicht, was es war, aber er hatte ein merkwürdiges Gefühl gehabt, als er sie angeschaut hatte. War es Neid, weil sie eine unbeschwerte Kindheit haben durften, die den meisten Bewohnern des Turms verwehrt blieb? War es Trauer, da auch sie sicher bald ihre Naivität – die hinter den großen schreckgeweiteten aber auch neugierigen Augen schimmerte – verlieren würden?
Er schnaubte unwillkürlich. Das waren unsinnige Gedanken. Sie führten zu nichts und verschwendeten nur Zeit. Juliette warf ihm einen ihrer Standard-Blicke zu – zumindest erschien der verächtliche Ausdruck immer in ihrem Gesicht, wenn sie ihn ansah. Sie glaubte vermutlich, dass sein Schnauben sich auf die Umgebung bezog und es wäre auch sehr angemessen gewesen. Überall hingen Spinnweben, in denen der Staub glitzerte. Das war aber nicht das Problem. Im Turm gab es eine Menge verstaubter Räume, meist Lagerräume, in die nur Besänftigte – er schüttelte sich bei diesem Gedanken – und Novizen geschickt wurden, um irgendeine halb vergilbte Rolle Pergament zu holen oder einen nie gebrauchten Trank, der schon vor sich hin moderte. Nein, das Problem war das Stroh und die Säcke, die ihr Nachtlager darstellen sollten.
Mühsam versuchte er, sich ein halbwegs bequemes Lager zu bauen. Fast hätte er geflucht, als das Stroh zum x-ten Mal durch seine Roben drang und ihn schmerzhaft stach. Fast. Juliettes Anwesenheit hielt ihn zurück. Er würde nicht vor ihr diese Schwäche zeigen. Er kannte Leute wie sie, die sich auf jeden Fehler stürzen würden wie hungrige Wölfe, freudig heulend. Er hatte die letzten Jahre seines Lebens unter ihnen zugebracht.
Doch als er sich dann hinlegte und versuchte, eine bequeme Position zu finden, konnte er ein leises Fluchen nicht verhindern. Überall kratzte und stach das Stroh, jede Bewegung führte zu Knistern und Knacken, die beinahe das Gespräch, dass sich zwischen Leirâ und der Orlaisianerin entspann, übertönte. Er fragte sich, wie Alrik so schnell einschlafen konnte, dessen Schnarchen so ruhig und gleichmäßig durch die Dachkammer zog.
Mit einem Seufzer schloss er erneut die Augen und versuchte einzuschlafen, doch Juliettes Stimme hielt ihn davon ab.
„Wisst i`r? I´r schont eusch nischt genug. Es wäre wirklisch kein Problem für misch etwas von eurer Last tsu überne`men und i`r würdet in meinen Augen dadursch keinesfalls irgendwie schwach daste`en oder dergleischen.“
Er setzte sich ruckartig wieder auf und mischte sich in das Gespräch ein: „Ihr könntet mir etwas abnehmen. Immerhin sind die Tränke, die ich mit mir rumschleppe, auch für Euch.“
Es war nicht so, dass er Leirâ nicht gönnte, ihre Last zu erleichtern. Aber sein Rücken tat weh, seine Füße taten weh, sein Kopf schmerzte vor Müdigkeit, da er nur wenige Stunden geschlafen hatte. Aber es war einfach die Gelegenheit zum einen die Orlaisianerin zu ärgern, indem sie ihm helfen musste - vor allem, weil sie schneinbar auch hilfsbereit und nett sein konnte, wie dieses Gespräch bewies, wenn auch nicht ihm gegenüber - und zum anderen Gepäck loszuwerden. Noch einen Tag wie heute und er würde nicht mehr gerade stehen können. Und die Dalish – immerhin war sie solche Anstrengungen gewöhnt.