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  1. #41
    ME FRPG only Avatar von Arseni Vigo
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    <<< Invisible Hand: Hauptbrücke
    >>> Invisible Hand: Quartiere - Deck 2.

    20:32

    Arseni und seine zwei Kumpanen verließen den Lift und zwar mit nur einem Gedanken, so schnell wie möglich das Raumschiff heil zu verlassen. Die Zerstörungswut, die zu spüren bekamen auf der Hauptbrücke, ließ sich auch auf den anderen Decks ausfindig machen und was nun zählte, war die Füße in die Hand zu nehmen. Auch wenn Arseni nicht die gewünschten Informationen bekam, die er vergeblich irgendwie für den Bund zu ergattern versuchte, so galt es nun für ihn vor allem die Beine ihren Dienst verrichten zu lassen. Ohne viel Verzögerung nach dem sich der Lift schloss, rannten sie schon los. Dante und Sooth, die beide körperlich fitter waren, als Arseni, ließen ihn schon auf wenigen Meter einen Vorsprung ausmachen, und stattdessen keuchte Arseni nur schwer, sich innerlich nach einer Zigarette oder einem billigen Glas Whiskey sehnend, zugleich verfluchte er sich aber auch schon wieder für diesen Gedanken. "Wieso müssen wir denn so hetzen?", keuchte Arseni den zweien nach vorne, kaum hörbar die defekten Konsolen und Flammen, die quietschend und lodernd den Gang zu einer Ansammlung von merkwürdigen, und vor allem nervtötenden Geräuschen und tödlichem Klamm verwandelten. Umso bizarrer war wohl der Gedanke zu werten, dass Arseni gern eine Zigarette gerade geraucht hätte, fing er doch jetzt langsam sich die Kehle rauszuhusten. "Vermutlich gab es hier ein Leck, oder einen Unfall. Jedenfalls ist das Ganze verdammt gefährlich", spuckte Dante noch aus, ehe er den Helm wieder zuklappte und durch ein Flammenmeer sprang, gefolgt von Sooth. Arseni, der selbst nur im Trenchcoat an dieser Schlacht teilnahm, bereute es nun endgültig, dass er keine Rüstung bei sich hatte. Aber ihm würde die Geschwindigkeit genügend Zeit geben, hoffte er zumindest. Er holte aus - viele Möglichenkeiten gab es nicht - und sprang, formte sich dabei zusammen, schützte mit seinen Händen sein Gesicht und kam im Sprung noch zum stolpern; etwas hatte ihn festgehalten.

    Er krachte auf den Boden, die Luft am Boden interpretierte er als angenehmer. Etwas hielt ihn fest, und als den verkohlten Arm an seinem Bein sah, wurden seine Augen größer. Ein Turianer, entstellt von all den Flammen und ein brutzelndes Stück Fleisch, verlangte nach seiner Hilfe, schwächelnd und kaum noch lebend. Trotz der Brandflecken, die sich gebildet hatten, erkannte Arseni, dass der Turianer ein Mitglied der Blue Suns war. Zuerst sich widerstrebend, indem er versuchte den Arm von seinen Beinen zu lösen, kam er schlussendlich näher und sah dem Turianer ins Gesicht, versuchte seinen Ausdruck zu deuten, aber außer Schmerzen war nicht viel zu sehen. War das eine Chance ein Leben zu retten? Oder war es viel mehr eine Möglichkeit endlich Informationen einzusammeln, insbesondere bezüglich Yvonne deLaurant? Arseni war dem Turianer so nah, er konnte das Stöhnen und Winseln deutlich hören, vielleicht blendete er aber auch einfach nur den Lärm um sich aus und konzentrierte sich dabei ganz auf den Blue Sun; so als wären sie für ein paar Sekunden in einem eingenen Kosmos. "Schnell, Arseni" schrie Sooth, aber Arseni nahm ihn nicht wahr. Stattdessen aktivierte er in geistiger Abwesenheit das Omni-Tool des Turianers. "Arseni, du Idiot, jetzt komm", kam es lauter von hinten. Aber Arseni zog nur alle Dateien des Turianers auf sich, das Omni-Tool war auf Tsakyr registriert. Endlich. Genügend Informationen für den Bund, und vielleicht sogar etwas über Yvonne. Und dafür die ganze Mühe, die Schlacht und all die Angst, Furcht und Leiden schien sich auszahlen - für irgendjemanden zumindest, nicht für Arseni. Er hatte noch weniger Lust jetzt irgendetwas zu tun, und es war ein verlockender Platz hier neben Tsakyr zu rasten. "Arseni!" Das Omni-Tool hatte den Transfer abgeschlossen und ohne den Turianer ein zweites Mal anzublicken - Arseni war von sich selbst angewidert dem Turianer nicht helfen zu können - rannte er los, quer durch den Qualm; zwei Gestalten warteten bei einem Schott, er durchquerte es und das Schott hinter ihm schloss sich augenblicklich dank der Biotik von Dante.

    20:36

  2. #42
    ME FRPG only Avatar von Arseni Vigo
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    Invisible Hand: Quartiere - Deck 2
    20:36

    Grimmig musterte Dante den ausgekeuchten und schwer schnaufenden Arseni, der sich erst einmal einen Moment im Gang gönnte, zu Boden sank und die Schweißperlen und Ruß von sich kloppte. Durch Dantes biotisches Talent wurde der brennende Gang abgesiegelt und sie waren nicht mehr in unmittelbarer Gefahr, auch wenn man die Situation keinesfalls als sicher bezeichnen konnte. "Du bist ganz schön bescheuert? Und für was?", fauchte Dante ihn an.
    "Naja - du könntest mir zumindest danken. Ich nehm' den Auftrag ernst?" witzelte Arseni, noch immer nach Luft schnappend.
    "Alles auf den letzten Drücker, hm?"
    "Es war Tsakyr", unterbrach ihn Arseni: "Das sind sicherlich paar nutzvolle Sachen auf seinem Omni-Tool."
    "Ein echter Agent hätte seine Suche wesentlich früher abgeschlossen."
    "Hast du das?"
    "Schon ganz am Anfang", antwortete Dante bestimmt und schüttelte dabei entweder aus Enttäuschung oder Resignation den Kopf.
    Sooth trat zwischen den beiden, knurrte knapp, sah beide kurz an und machte mit einer einzelnen Handbewegung klar, dass sie sich bewegen sollten anstatt über Arsenis Verfehlungen als "Spitzenagent" des Bundes zu lamentieren. Er reichte Arseni die Hand, der sie dankend annahm. "Und wohin jetzt?", fragte er die beiden, hielt dabei seine Crossfire fest und ging ein paar Schritte voraus.
    "Raus aus dem Schiff natürlich, und zwar hoffentlich auf dem schnellsten Weg", kommentierte Arseni, die in seinen Augen sinnlose Frage.
    "Nur was ist der schnellste Weg, hm?"
    "Wir könnten uns den nächsten Lift suchen, würden aber das Risiko eingehen, dass dieser nicht funktioniert. Und genügend Zeit dafür haben wir auch nicht", warf Dante ein.
    "Also dann... Treppen?"
    "Von Deck 2 aus durchrennen?"
    "Was bleibt uns schon übrig. Laut meinen Informationen ist unmittelbarer Nähe kein weiterer Lift, nur der hinter uns", fasste Dante die Situation knapp zusammen. "Kein letzter, schnippischer Kommentar, Arseni?"
    "Ich glaube dafür fehlt uns die Zeit, nicht?"

    Die Drei fingen an loszurennen, weg vom noch immer hörenden Lodern des Feuers, hin in ruhigere Gefilde - stille, dunkle Gänge, deren einziges Geräusch das Atmen der Flüchtlinge war, denn alles andere schien tot zu sein. Sie liefen an mehreren Leichen vorbei, jeglicher Coloeur, und das Blut mischte sich immer mehr. So gut die drei nach dem Hangar größeren Kämpfen ausgewichen waren, so war es offensichtlich, dass andere Söldner und Kriminelle den direkten Kontakt mit den Pardern suchten, und damit bezahlten. Eine schwere MG-Stellung, die wohl spontan von Pardern zusammengeschustert wurde, war mit den Nachwirkungen von Granaten besetzt, in der Schussbahn der MG-Stellung ein dutzend lebloser Körper, durchlöchert. Dante orientierte sich immer wieder an Schilden, um zu überprüfen, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Er konnte es nie bestätigen, sondern antwortete stets mit einem aufschlussreichen "Weiter". Vielleicht würden sie einfach nur rennen, bis die Invisible Hand in ihre Einzelteile zerfiel.

    Arseni fragte sich während dem Rennen oft wieviel Zeit ihnen noch blieb. Was auch immer vor sich ging, er wollte es nicht wissen. Er wollte einfach nur raus aus diesem Schlamassel, in den er sich selbst hineingebracht hatte, und ihm stand es bis oben rauf. Ihn nervte der Bund, der ihn auf diese gefährliche Mission schickte. Ihn störte es, dass Dante die ganze Sache so äußerst gelassen anging. Die Behemoth-Crew war ein Haufen von schießwütigen Vollidioten und Sooth ein dummer C-Sec Beamter, der zusammen mit der noch viel dümmere Akyra ihn erst dazu gebracht hatten gen die Hauptbrücke vorzustoßen. In seinem Kopf pocht es, die Blutadern pulsierten, nichts gab in seinem Körper mehr Ruhe, alles war im Wirbel und alles was er tun konnte, war die Welt dafür zu verfluchen, ihn in diese Situation gebracht zu haben. Er hätte gute Lust gehabt Amok zu laufen in diesem Moment. Es blieb bei der Lust, die Kraft wurde ins Rennen gesteckt und in dieser Prozedur verflog sein Widerwillen und Hass genauso wie beides wieder kam, wie Wellen die gegen eine Brandung schlugen, die langsam kieselte und sank.

    "Jetzt geh' schon auf", brüllte eine unbekannte Stimme lauthals. Durch das eigene Schnaufen und Rennen hörte sie die Stimme erst jetzt. Sie hielten an, alle außer Puste. Nur Dante wusste wohl wo sie gerade waren, wenn es nach Arseni ging, hätten sie auch die letzten Minuten lang im Kreis laufen können. "Ein Lift?", mutmaßte Arseni.
    "Wenn er nicht aufgeht, bringt uns das auch nichts", zwinkerte Dante zurück.
    "Gut, dann rennen wir am besten weiter. Ich bin gerade so schön in Form", gab Arseni - erneut schwer schnaufend, wie schon die ganze Zeit - zu Protokoll.
    "Einen Moment", merkte Dante an und bedeutete ihnen hier zu warten. Er lief etwas vorraus, leicht wie eine Katze, so als könnte er nach diesem Marathon, zumindest für Arseni, noch weitere Kraftreserven anzapfen und seine Geschwindigkeit kontrollieren. Er stellte sich an den Rand des neuen Gangs, mehrere Meter von Arseni entfernt, und lugte herum. Er gab ein Zeichen weiterhin zu folgen, aber leise. Sooth und Arseni taten wie geheißen, und Dante drehte sich um die Ecke zu der unbekannten Stimme.
    "Ihr solltet rennen", warf er ein ins das Stimmengewülst der Verzweifelten. Arseni hörte wie mehrere Waffen in die Hand genommen und entsichert wurden.
    "Alpha Chimera?!"
    "Nein?"
    "Was dann?"
    "Freier Söldner, arbeite für die Blue Suns."
    "Besser als nichts. Wir versuchen den Lift aufzukriegen."
    "Ich vermute nicht, dass er noch funktioniert, oder?"
    "Und woher willst du das wissen?"
    "Weil dieser Lift schon zuvor nicht funktioniert hat. Vielleicht Parder-Sicherheitsprotokoll bei einem Angriff, vielleicht hat er auch zuviel abbekommen während den Kämpfen."
    "Und was machst du dann hier noch?"
    "Rennen, und das solltet ihr auch."
    "Liebend gern, aber wohin?"
    "In den Hangar natürlich."
    "Du kennst den Weg?"
    "Tja, ich hoffe es zumindest. Arseni, Sooth - kommt herraus."

    Arseni kam nun auch um die Ecke, nach dem er zusammen mit Sooth, aufmerksam das Gespräch verfolgt hatte. Es waren zwei Batarianer, eine Asari und ein Turianer, Angehörige von Aria T'Loak, mutmaßte Arseni vom ersten Anblick an. Er hatte die letzten Tage zuviel Zeit im Afterlife verbracht als dass er Arias Leute nicht erkannte hätte. "Aria T'Loak?" warf Arseni in die Runde ein. Sie nickten. "Ok. Dante?"
    "Weiter gehts."

    20:41
    > Invisible Hand: Hangar

  3. #43

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    Invisible Hand - Deck 2; Rettungskapseln

    Geschafft. Der Schott geschlossen. Die Rettungskapsel versiegelt.

    Draggus humpelte durch die enge Kabine zu der Hauptsteuerung. Verwirrt stierte er mit vor Anstrengung tränenden Augen auf die unbekannten Symbole. Das Hologramm – in der Darstellung dem Bedienfeld eines Omnitools ähnlich – bot eine schier endlose Anzahl an Auswahlmöglichkeiten an. Draggus sah nur unbekannte Symbole und eine fremdartige Schrift. Nichts davon gab preis, womit man die wesentlichste aller Funktionen auslöste – das Absprengen der Kapsel. Immer und immer wieder flog Draggus rastloser Blick über die Anzeige, in der Hoffnung irgendeinen Anhaltspunkt dafür zu finden, welche Auswahl dafür die richtige sei. Vergeblich. Die Zeit – ein erbarmungsloser Gegner – lief unaufhaltsam weiter. Schlussendlich fiel ihm nur eins ein, um es herauszufinden. Draggus stützte sich mit der linken Hand an der Konsole ab, spreizte an der rechten sämtliche Finger ab und drückte die Handfläche und den dazugehörigen Unterarm möglichst großflächig in das Anzeigefeld. Die Hoffnung, dadurch möglichst viele und vor allem möglichst jene Tasten zu erwischen, welche für die Absprengung der Rettungskapsel zuständig waren, zerbrach an der idiotensicheren Konzeption der Startprotokolle. Ein verneinendes Piepen ertönte, dicht gefolgt von einer weiblichen Stimme, die vermutlich irgendeine Warnmeldung oder Aufforderung aussprach. Der Sprachlaut und der Sinn, der sich dahinter verbarg war für Draggus genauso unverständlich, wie die Schrift des Bedienfeldes. Was dem Kroganer jedoch sofort ins Auge stach, war ein neben dem Hologramm angebrachter Taster. Dieser tauschte nämlich sein bisheriges, sanftes grünes Leuchten, gegen ein penetrantes rotes Blinken und stimmte mit in die Arie der internen VI ein, welche Draggus’ Unfähigkeit verhöhnte.
    Die Zeit lief ab. Gefangen im Augenblick, schien alles andere um ihn herum zu verschwimmen und schlussendlich einzufrieren. Draggus Verstand, der bisher die Sekunden abzählte, die ihm noch bis zur Explosion blieben, war dabei – ganz langsam – zu begreifen, was dieses elendige Flackern und Piepsen bedeuteten. ‚Sag mal, willst du mich ficken?! Ich bin doch nicht bis hierher gekrochen, nur um an diesem räudigen Schrott zu scheitern!’ Voller Wut donnerte er den Kopf gegen die Konsole und auf den blinkenden Taster. Wäre er frei von Zeitdruck und der Gefahr des unmittelbaren Todes gewesen, hätte er vermutlich den Wutausbruch zurückgehalten. So aber führte die Verweigerung des Kroganers darüber, sich in sein Schicksal zu fügen letztendlich genau zu dem Handgriff, welcher die Absprengung auslöste. Ein Rütteln fuhr durch den Raum. Die plötzliche Beschleunigung der Rettungskapsel schleuderte Draggus quer durch die Kabine und gegen das Schott, welches er nur Augenblicke zuvor geschlossen hatte. Die Erleichterung darüber nicht mehr dem sicheren Tod geweiht zu sein wurde von dem Schmerz in seinem Brustkorb erstickt. Durch die Beschleunigung zusätzlichen Gravitationskräften ausgesetzt, klebte er an dem Schott im hinteren Teil der Kapsel – ein Opfer der Trägheit. So gerne Draggus sich auch selbst dafür verfluchen wollte, nicht zuerst die Trägheitsdämpfer eingeschaltet zu haben – er konnte es nicht. Zum einen weil diese Möglichkeit angesichts des unbekannten Bedienfeldes für ihn keine wirkliche Möglichkeit war, zum anderen, weil er gerade dabei war erneut das Bewusstsein zu verlieren. Draggus fühlte förmlich, wie die zusätzlichen G-Kräfte sein Blut aus dem Gehirn abströmen ließen. Spürte den Sauerstoffmangel, als ihm die Luft aus den multiplen Lungen gepresst wurde. Jeder Gedanke mit dem sein Verstand schwanger war, wurde abgetrieben. Die vollständige Kontrazeption eines dunklen Schleiers vor seinen Augen, ließ keinen Lichtstrahl der spärlichen Innenbeleuchtung in seine Retina hineindringen. Ein erneutes Rütteln lief durch das Gefährt, befreite den Kroganer aus seiner misslichen Lage und ließ ihn wie ein Sack batarianisches Getreide von Pragia auf den Boden plumpsen.

    Draggus blieb eine Weile reglos liegen, schnappte gierig nach Luft und drehte sich schließlich auf den Rücken. Draggus fragte sich, ob er trotz der Erschöpfung, Zeitdruck und dem bohrenden Gedanken, samt dem Träger jede Sekunde zu explodieren, unbewusst richtig gehandelt hatte, oder ob die nervtötenden Farb- und Tonsignale der Kapsel schlicht als Katalysator für die ureigenste Reaktion seines Volkes gedient hatten. ‚Wie dem auch sei. Ablaufreihenfolge für die nächste Rettung in letzter Sekunde: Zuerst im Pilotensessel zurücklehnen, dann den Sicherheitsbügel runterklappen und danach ausflippen.’ Versprach Draggus sich und lachte auf. Das Lachen schlug jedoch bald um in heftiges Husten mit blutigem Auswurf. Bei dem Versuch sich aufzurichten verspürte Draggus einen kaum zu ertragenden Schmerz in der Seite. Mindestens eine Rippe war gebrochen und hatte eine der Lungen durchbohrt, so schätzte er. Nichtsdestotrotz zwang er sich seinem eigenen Ratschlag zu folgen und sich in den Sitz neben der Hauptsteuerung der Rettungskapsel zu hieven. Der Blick aus dem Bullauge vor ihm zeigte das bekannte Asteroidenfeld des Sahrabarik-Systems. Etwas weiter in der Ferne konnte man den hässlichen, ausgehöhlten Asteroidenbrocken erkennen, welcher die Omega-Raumstation darstellte. Draggus schätzte, dass das zweite Rütteln, das er verspürt hatte, Ausläufer des explodierten Trägers waren, denen die Kapsel trotz der enormen Beschleunigung nicht zu entkommen vermochte. Zumindest schienen die Navigationstriebwerke und der Autopilot keinen Schaden genommen zu haben, denn Draggus konnte deutlich erkennen, wie die Kapsel geschickt entgegenkommende Asteroiden umschiffte. Höchstwahrscheinlich hatte auch die eingebaute VI, eigenverantwortlich Omega als die nächste und einzige Rettungsmöglichkeit für ihren Insassen ausgewählt und Kurs auf die Raumstation gesetzt. Ob sie dabei einprogrammierten Routinen folgte, oder sich dynamisch an das Fehlen der nötigen Eingaben durch den Piloten anpasste, war für Draggus ein Rätsel. Wie dem auch sei, er würde sich hüten irgendwelche Eingaben auf dem ihm unbekannten Terminal zu tätigen. Schlussendlich war es ihm auch egal, wie die VI ihn sicher nach Omega brachte, solange sie dabei erfolgreich war.

    Draggus lehnte sich zurück. Versuchte Ruhe zu finden. Erholung. Sein Atem ging immer noch schwer. Dennoch machte sich ein gewisses Gefühl der Zufriedenheit in ihm breit. Er war in Sicherheit. Er hatte überlebt und konnte sich bedenkenlos der Müdigkeit hingeben. Draggus dachte zurück, wie er noch Augenblicke zuvor bei jeder Bewegung sich der allumfassenden Erschöpfung entgegenstemmen musste um voran zu kommen. Mehrmals war er in den verwinkelten Korridoren der Invisible Hand kurz davor gewesen erneut zusammenzubrechen. Etwas, wogegen er nur ein Aufputschmittel hatte – Schmerzen. Hin und wieder an die Wand eines der Gänge gelehnt, zerrte er instinktiv an dem Messer, das in seiner Hand steckte. Nicht um es herauszuziehen. Um in der aufwallenden Flut aus Schmerzen die nahende Ohnmacht zu ertränken. Ein unterdrückter Schrei war der Preis – eine kurzzeitig klarere Sicht und ein paar Schritte der Lohn. Der Schmerz hielt ihn wach. Der Gedanke ans Überleben trieb ihn voran.

    Der Körper des Kroganers rächte sich auf seine eigene Art für diese Misshandlung. Heftige Zuckungen – Nachwirkungen der Schockwaffe der Nebelparder – erschütterten in regelmäßigen Abständen seine Muskeln und seine Organe. Selbst der jetzige Versuch der Entspannung wurde von einem Anfall quittiert. Die Zuckungen ebbten bald ab, doch gerade jetzt, wo er es sich leisten konnte nicht mehr gegen die Erschöpfung anzukämpfen, blieb die erlösende Ohnmacht aus. Draggus wünschte sich nichts sehnlicher, als einen traumlosen Schlaf. Schlaf, der seinen Körper sich erholen und seinen Verstand vergessen ließ. Letzterer schien es dem Körper gerade gleich tun zu wollen. Draggus Gedanken rasten umher wie ein tollwütiger Varren. Bei dem Versuch sich von den umherschwebenden Asteroiden einlullen zu lassen, die Augen zu schließen und sich das Trägerschiff der Nebelparder in Trümmern vorzustellen, drang eine Flut von Bildern in seinen Verstand, welche nicht abreißen wollte. Sämtliche Eindrücke vergangener Stunden zogen an seinem inneren Auge erneut vorbei. Draggus fragte sich ob die Menschenfrau Kate und die anderen es rechtzeitig geschafft hatten sich von dem Schiff abzusetzen. ‚Vermutlich’ redete er sich ein, denn er konnte es sich nicht vorstellen, dass sie bei ihrer Flucht es auf die letzte Minute ankommen ließen, so wie er. Die Flut an Bildern riss nicht ab und führte ihn weiter zurück. Zurück in die Vergangenheit, zurück nach Illium. Je mehr Mühe Draggus sich gab nicht daran zu denken, desto stärker drangen die Erinnerungen zurück an die Oberfläche. Trotz geschlossener Augen sah er in aller Deutlichkeit den Regen. Sah, wie die Tropfen an der Windschutzscheibe abperlten. Spürte, wie das kühle Nass von der Kopfplatte auf seine Nase rann, als die verspiegelte Tür des Shuttles zur Seite glitt und ihre Insassen auf dem Dach des Kongresszentrums aussetzte. Draggus riss die Augen auf. Er wollte sich nicht erinnern, wollte nicht zurück denken. Doch der Reflex sich über die Kopfplatte zu wischen war stärker. Draggus erschrak, als seine Finger ins Nasse griffen. Zitternd brachte er die Hand vor die Augen und hoffte, dass er sich irrte. Die Feststellung, dass seine Finger mit Blut und nicht mit Regenwasser benetzt waren, hätte beruhigend sein können, wenn sie ihn nicht an seine Wunden erinnert hätte. Draggus tastete die Kopfplatte erneut ab. Die wilden Versuche des Nebelparders ihm ebendiese abzureißen, hatten für tiefe Schnittwunden im Fleisch darunter gesorgt. Draggus Finger wanderten zum Hals und tauchten in tiefe, zum Teil bereits kauterisierte Furchen, welche von den Streifschusswunden herrührten. Mehrere weitere Rinnsale nahmen ihren Ursprung in den winzigen Einschusslöchern in seinen Brustplatten und liefen seine Rüstung hinab. Seine beiden Herzen gerieten – in Anpassungsversuchen an die Stromschläge der Nebelparder – immer wieder aus dem Takt und pumpten die lebenswichtige Flüssigkeit ins Leere. Der pochende Schmerz seiner alten Wunde am Höcker überlagerte sich mit dem, der lädierten Armknochen und des Unterkiefers. Seine Rüstung kam Draggus auf einmal furchtbar eng vor; jeder zweite Atemzug von einem heiseren Husten begleitet. Am liebsten hätte er sich sämtliche Panzerungsplatten vom Leib gerissen – wenn er nur die Kraft dazu hätte. ‚Eine Badewanne Medigel wäre jetzt nicht verkehrt’ schoss es ihm durch den Kopf. Während er sich mit dem Gedanken tröstete, nach der Landung auf Omega schon irgendeinen Quacksalber zu finden, der ihn notdürftig zusammenflicken würde, schaute er irritiert auf seine Hände. Über die schlaffen Muskeln nicht mehr Herr, ruhten diese nutzlos auf den Oberschenkeln. Eindringlich betrachtete der Kroganer die blutverschmierten Finger. Den Blick zu einem Tunnel verengt und auf die gelbliche Flüssigkeit fixiert. Bis diese – nach und nach – ins Blaue umschlug.
    Entsetzt hing Draggus Blick daran. Das blaue Blut drang ungebremst zwischen seinen Fingern, trotz seiner Versuche die Blutung zu stillen. Draggus drückte stärker auf die Wunde im Bauch und ließ fast augenblicklich davon ab. Er wollte sie nicht verlieren. Keine von ihnen. Er hoffte.

    - „Scar“

    - ‚Ab wann?!’

    Seine Gedanken rasten. ‚Ab wann, fing es an schief zu laufen?!’. War es der Zeitpunkt als jemand „Spectre“ rief und damit drohte sie umstellt zu haben? War es, als Sula’is ihn in ein anderes Team einteilte und er nicht widersprach? War es, als er es sich nicht hat umstimmen lassen mit nach Nos Astra zu gehen? ‚Verdammt, ab wann?!’ Nicht, dass er mit dem Wissen um den Auslöser auch nur das Geringste hätte ändern können. ‚Verweigerung ist immer die erste Reaktion in einer Kette, an deren Ende schließlich die Akzeptanz steht.’ Auch das hatte Sula’is ihn gelehrt. Doch Draggus war noch nicht so weit. Bei weitem nicht.

    - „Scar, bitte. Hör mir zu.“

    Draggus schaute sie an. Blickte in ihre Augen und sah darin die immerwährende Entschlossenheit und auch das letzte Glied der Kette, dessen Anfang er noch immer nicht loslassen wollte. Er bedeutete ihr zu schweigen, sich nicht anzustrengen, doch sie hörte nicht auf ihn. Das tat sie nie. Sie redete weiter – erzählte alles. Er vernahm ihre Worte, doch deren Sinn drang nur schwer bis in seinen Verstand. Sie hatte sie verraten. Ihn, das Team, ihre Sache – einfach alles. Eine Agentin des Rates. Ein verdammter Maulwurf.
    Bei jedem anderen hätte er nach einer solchen Offenbahrung keine Sekunde damit gezögert den Verräter zu erwürgen und anschließend eine Kugel durchs Hirn zu jagen. Doch bei Sula’is kam ihm dieser Gedanke gar nicht erst in den Sinn. Sie waren eins geworden im Laufe der Zeit. Verschmolzen zu einer Einheit. Er hatte ihre Seele berührt und sie hatte in ihm das geweckt, was sein Volk unter einer dicken Schicht aus Wut, Gewalt und Rücksichtslosigkeit zu verbergen pflegte – Selbstbeherrschung, Geduld und Einfühlungsvermögen. Sie hatte ihm mehr beigebracht, als die Salarianer seiner gesamten Rasse. Und so wanderten seine Hände nicht zu ihrem Hals, um sich wie ein tödlicher Schraubstock um diesen zu schließen. Nicht in Anbetracht dessen, was sie ihm noch schenken sollte. Stattdessen blieben sie wo sie waren und versuchten weiterhin die Wunde zuzudrücken.

    - „Draggus, es tut mir leid. Ich konnte nicht anders.“ Sie brauchte sich nicht zu entschuldigen, dennoch tat sie es. Sie hatte versucht ihn zu warnen – auf ihre Art. Draggus verfluchte sich für seine Blindheit und dass er sich nicht von ihr hat fernhalten lassen. Der Blick des Kroganers löste sich von ihren Augen und stierte – an ihr vorbei – auf den verhängnisvollen Gegenstand.

    - 'Warum nur? Warum musste sie diesen verfluchten Helm tragen? Und diese Rüstung?' Seine Finger strichen zitternd über die leichte Panzerung an Sula’is Körper, die sich ganz deutlich von ihrer Kleidung unterschied, in der sie in das andere Shuttle stieg. Niemals hätte er auf sie geschossen, wenn er ihr Gesicht hätte erkennen können. Ganz gleich, auf wessen Seite sie stand. Doch in der Hitze des Gefechts gab es für ihn kein Zögern. Sie hatte ihn zuerst gesehen und nicht geschossen. Stattdessen blockierte sie einer anderen Kommando-Einheit auch noch die Schussbahn. Ein unverzeihbarer Fehler, wie Draggus dachte, während er mit seiner Waffe die beiden Asari-Kämpferinnen niedermähte. Die Schrotflinte – auf kürzeste Distanz eine verheerende Waffe – brannte sich durch die Schilde und das leichte Material, wie ein Plasma-Brenner durch Papier.
    Verwirrt hatte der Kroganer beim Töten inne gehalten, als eine der besiegten Gegnerinnen die Hand nach ihm ausstreckte, ihn beim Namen nannte und um Hilfe bat. Vorsichtig war er in die Hocke gegangen, hatte der Unbekannten die Waffe an den Kinn gehalten und sie gezwungen den Helm abzunehmen. Die Verwirrung war in Entsetzen umgeschlagen, als ihm Sula’is schmerzverzerrtes Gesicht entgegenblickte. Bittere Erkenntnis darüber, dass sie für ihren Versuch sein Leben zu schonen, nun womöglich mit dem ihren bezahlte, zwang ihn in die Knie. Trieb ihn zu verzweifelten Versuchen an, die Blutung ihrer Wunde zu stoppen. Währenddessen versuchte sein Verstand ebenso erfolglos zu begreifen, wie es erst soweit hätte kommen können.

    Draggus Blick lag auf seinen zitternden Händen. Er wusste nicht was er tun sollte. Wusste nicht ob er etwas tun konnte. Das gelbe Blut drang unaufhaltsam zwischen seinen Fingern. Draggus wäre auf der Stelle bereit gewesen beide Arme und Beine dafür zu geben, wenn es das Leben seiner Gefährtin und seiner ungeborenen Tochter hätte retten können. Doch mit dem Tod konnte man nicht feilschen.

    Er resignierte.

    Ein erneuter Anfall ließ den Kroganer erzittern. Als die Zuckungen abebbten blieb ein ungemein hohes Klingen im Ohr, das Sula’is Worte überdeckte. Zwei flüchtige Schatten, zogen kurz hintereinander an dem runden Ausguck in seiner Kapsel vorbei. Omega war schon ganz nah. Draggus Blick irrte umher und traf schließlich auf die Konsole. Deren holographische Darstellung spielte verrückt und wechselte laufend die Darstellung. Nach und nach vernahm er durch das Klingen hindurch auch wieder deutlich Sula’is Stimme. Diesmal jedoch mit einem synthetischen Unterton. Sie gab Befehle, herrschte ihn an. Doch Draggus verstand kein Wort. Vergangenheit und Gegenwart verschwammen zunehmend in seiner Wahrnehmung.
    In einem Aufgebot an Willenskraft zwang er sich ein letztes Mal den Schmerz auszublenden und sich zu konzentrieren. Das Hologramm zeigte in ihrer Darstellung den umliegenden Teil des Asteroidenfeldes in unmittelbarer Umgebung zur Rettungskapsel. Doch anders, als kurz nach dem Absprengen Letzterer, wurde die Darstellung um zwei wesentliche Aspekte bereichert. Zum einen waren es die Silhouetten von zwei Raumjägern, von denen Draggus einen als ein vor Jahren ausgemustertes, turianisches Modell identifizierte, während der andere in seiner Form stark den schnittigen Gefährte der Nebelparder ähnelte, welche der Kroganer zu Hauf in dem Haupthangar der Invisible Hand hat stehen sehen. Zum anderen war es die Tatsache, dass die beiden Ein-Mann-Vehikel nicht in einer lockeren Formation dahinflogen, um sich an der schwebenden Ansammlung von Felsbrocken zu erfreuen, sondern in einem mörderischen Tempo umherrasten.
    Der Nebelparder versuchte dabei hartnäckig an dem Heck seines Vorreiters zu bleiben und deckte diesen immer wieder mit tödlichen Salven aus seinen Bordwaffen ein. Sein Gegner hingegen, mühte sich in halsbrecherischen Manövern ab den Verfolger abzuschütteln, in der Hoffnung jener würde – auf das Zielen und Feuern zu sehr fixiert – von einem verirrten Asteroiden erfasst und pulverisiert werden. Bisher hatte es der Turianer gekonnt geschafft den Schüssen seines Gegners auszuweichen und auf einer Welle aus Weltraumschutt dahin zu gleiten, während sein menschlicher Verfolger treffsicher die Asteroiden zerlegte und seine Bordwaffen dem Hitzetod entgegen trieb. Das ganze Spektakel hätte Draggus’ Aufmerksamkeit wider komplett entgleiten können, wenn er nicht just in diesem Augenblick einen dritten, weitaus wichtigeren Aspekt bemerkt hätte. Die beiden Jäger und seine Kapsel befanden sich auf Kollisionskurs. Die Kapsel hatte gerade einen weiteren Asteroiden passiert, als der Turianer frontal auf ihn zusteuerte. Draggus sah sich schon mit dem ersten Jäger kollidieren, als dieser sein Fluggerät plötzlich hochzog und äußerst knapp an der Aussichtsluke vorbeirauschte, dass Draggus das Gefühl hatte nur die Hand ausstrecken und durch die Glasscheibe greifen zu müssen, um dessen zerkratztes Außenblech berühren zu können. Der menschliche Verfolger hatte währenddessen sein Feuer überraschenderweise eingestellt. Während der kurzen Zeit, in der sich der Turianer auf der Zielgeraden befand, hätte ihn sein Verfolger zwangsweise in der Zielerfassung haben müssen. Draggus bekam jedoch nicht die Gelegenheit sich für das Ausbleiben von tödlichem Regen der GARDIAN-Laser zu bedanken. Der turianische Jäger war seinem Verfolger nur Sekunden voraus und so sah Draggus, wie der Nebelparder-Pilot verzweifelt versuchte unterhalb der Rettungskapsel abzutauchen, um einer Kollision mit ebendieser zu entgehen. Dem Kroganer stockte der Atem, als auch dieser Raumjäger – an dem Rahmen des Bullauges vorbei – aus seinem Sichtfeld verschwand. Die angehaltene Luft wurde ihm auch prompt aus den Lungen gepresst, als die Rettungskapsel mit ungeheurer Wucht nach oben geschleudert wurde. Schlapp, wie ein Stück gepökeltes Dörrfleisch, das zum Trocknen aufgehängt wurde um als Proviant bei einer Tiefraumerkundung zu dienen, hing Draggus in dem Überrollbügel seines Sitzes. Unfähig etwas zu tun oder sich gegen den Lauf der Dinge zu wehren. Der Überrollbügel war auch das Einzige was ihn davor bewahrte wie eine Murmel in einer Glückstrommel umhergeschleudert zu werden, während sein rettendes Gefährt sich fortwährend überschlug und ins Trudeln geriet. Die künstliche Schwerkraft war – wider Erwarten – nicht ausgefallen, auch wenn Draggus sich sicher war, das vermutlich genau das in den kommenden Augenblicken stattfinden würde.
    Draggus ahnte mehr, als dass er es wirklich wusste, was geschehen war. Trotz der wilden Finten und zufälligen Hacken, die der Pilot des turianischen Jägers vollführte, schien er einem bestimmten Kurs zu folgen – und einem Plan. Als die beiden Raumjäger in ihrer unerbittlichen Verfolgungsjagd zum ersten Mal als schemenhafte Silhouetten an seinem Sichtfenster vorbeizogen, hatte der Turianer wohl die Rettungskapsel als eine von der Invisible Hand ausgemacht. Durch ausgeklügelte Ausweichmanöver hatte er den Nebelparder zurück zu dieser gelockt – in der Hoffnung sein Verfolger würde nicht weiter feuern, wenn die Gefahr bestand eigene Leute zu treffen. Doch die Absicht die Insassen beider Fluggeräte miteinander kollidieren zu lassen war wohl nicht aufgegangen. Zumindest nicht vollständig. Statt der Rettungskapsel war der Nebelparder-Pilot mit dem eben passierten Asteroiden kollidiert – dessen war sich Draggus fast sicher. Nur so konnte er sich die ungeheure Wucht erklären, die sein Gefährt so rabiat aus der Bahn geworfen hatte. Doch diese Schlussfolgerung wirkte weder völlig zufrieden stellend, noch half sie ihm aus seiner momentanen Lage heraus.

    ‚Es hätte auch so einfach sein können’ Teilnahmslos schaute Draggus zu, wie Einrichtungsgegenstände sich quer über die Wände jagten – ohne jegliches Ziel, ohne irgendeine Ahnung über das Danach. Denn was würde wohl der Schraubenschlüssel tun, wenn er den Verbandskasten eingeholt hatte, oder was würde der Notfall-PDA wohl mit der Tube Medigel anfangen. Die Ablenkung in dem Moment – seinem letzten und einzigen Zufluchtsort – war nur von kurzer Dauer. Draggus fiel es immer schwerer sich auf die dröhnende Stimme zu konzentrieren, um einschätzen zu können, wie schlimm die Auswirkungen des Beinahe-Zusammenpralls waren. Währenddessen überschlug sich die verzerrte Stimme der VI förmlich. Der Tonlage nach zu urteilen, spuckte sie ununterbrochen irgendwelche Warnmeldungen heraus. Der Eindruck wurde durch den Umstand verstärkt, dass die einprogrammierte Intelligenz zur Untermahlung ihrer bedeutungsvoll klingenden Worte mehre Leuchten auf dem Kontrollfeld in einem tiefen Rot erstrahlen ließ. Hinzu kam, dass das holographische Anzeigefeld der Konsole immer wieder zwei Darstellungen gegenüber stellte, auf denen allem Anschein nach der Soll-Ist-Zustand der Bahnkurve zur Landung auf Omega verglichen wurde. Ein Blick aus der Aussichtsluke bestätigte Draggus schlimmste Befürchtungen. Ein lähmendes Gefühl der Hilflosigkeit machte sich in ihm breit – Sula’is Körper trieb leblos im All. Er hat sie nicht retten können. Draggus streckte die Hand aus, um seiner Gefährtin zum Abschied über das liebliche Gesicht streichen zu können. Ein letztes Mal. In Agonie riss er den Arm zurück und drückte ihn sich an die Brust. Der Schmerz überdeckte alles andere – wie immer, wenn er die verfluchte Klinge im Arm bewegte. ‚Verdammt, reiß dich zusammen. Tu was!’ Draggus bedankte sich gedanklich bei der einen Augenblick zuvor verwünschten Konsole dafür, dass er mit dem Messer daran hängen geblieben war und dass sie ihm dadurch einen klareren Blick auf das All hinter der Glasscheibe ermöglichte. Draggus sah, wie er Omega in einer fortwährenden Abwärtsspirale immer näher kam und die Raumstation stetig das Blickfeld in seinem Aussichtsfenster füllte.

    Er stürzte ab.

    Draggus suchender Blick mühte sich zwischen den zahlreichen Eingabemöglichkeiten der Konsole ab – unschlüssig, wie er reagieren sollte. Zumindest diese Qual der Entscheidung wurde ihm abgenommen, als die Lämpchen leicht aufflackerten und anschließend samt dem Holoprojektor und der restlichen Beleuchtung kurzerhand ausfielen. Von tiefer Dunkelheit umzingelt, die nur durch das schwache Leuchten der Sterne spärlich durchbrochen wurde, fühlte Draggus, wie er nicht mehr abwechselnd in seinen Sitz und den Überrollbügel gedrückt wurde. Stattdessen schwebte er zwischen den beiden, während die Rettungskapsel weiterhin ihre unkontrollierten Umdrehungen vollführte und sich ungebremst Omega näherte. Draggus brauchte die restlichen Gegenstände nicht zu sehen, um zu wissen was passiert war. Sein schwebender Zustand war ihm Hinweis genug. Die künstliche Schwerkraft war samt der Energieversorgung ausgefallen.

    Die über die wenigen Sekunden mühevoll aufrechterhaltene Konzentration entglitt ihm völlig. Draggus atmete ein. Er wusste was jetzt folgen würde. Draggus atmete aus. Er fühlte es. Er hatte die Anzeichen schon mehrmals kommen und gehen sehen. Dennoch traf ihn der Anfall, wie der Donner eines Frühlingsgewitters. Spasmische Krämpfe ließen den Kroganer sich krümmen und winden, während die Finger sich in den Überrollbügel des Sitzes bohrten und die Füße unkoordiniert am Boden scharrten. Der Herzschlag geriet aus dem Takt. Die Atmung setzte aus. Draggus wollte die Zähne zusammenbeißen, um es leichter ertragen zu können, doch er konnte es nicht. Die zerfetzten Kaumuskeln gehorchten ihm nicht. Stattdessen quetschte er den Schaumstoffüberzug zwischen den Fingern und hoffte es würde bald vorbei sein. Als die Agonie gezeitengleich abebbte war sein Blick noch immer abwesend auf den Kosmos hinter der Glasscheibe gerichtet. Die bedrohlich näher kommende Raumstation nahm er nicht mehr war. Auch nicht das Gesicht seiner Frau. Stattdessen sah er das letzte Glied in der Kette. Akzeptanz. Die Erkenntnis Nichts – aber auch gar nichts tun zu können machte sich in seinem Inneren breit. Begleitet von dem Gefühl versagt zu haben, das sich in seinen Verstand fraß, wie die Maden in sein wundes Fleisch. Doch Draggus fehlte der Wille dieses letzte Glied auch anzunehmen. Zu akzeptieren. Er wollte es nicht. Er wünschte sich in der Zeit zurückgehen und es anders machen zu können. Er wünschte sich seine Frau zu sehen, sie in Händen zu halten, sie an sich drücken zu können. Ihre zärtlichen Berührungen an seiner Haut zu fühlen und diese zu erwidern. Er wünschte sich die Geburt seiner Tochter erleben zu können. Sie hochzuheben, ihr beim aufwachsen zu zusehen, ihr die unzähligen Wunder der Galaxie zeigen zu können. Nichts von alldem würde er je erleben. Nie würden sie zusammen die Schönheit des Meteoritenregens auf Edolus bewundern können. Nie würden sie zusammen Muscheln an den Stränden von Virmire sammeln gehen. Sie würde sich nie über ihren Schulabschluss freuen können. Er würde sie niemals lächeln sehen. Würde nie den Stolz der Elternschaft empfinden, das eigene Kind zum Erwachsenenwerden geführt zu haben. Um all das hatte er sich selbst beraubt. Die beiden Herzen setzten einen Schlag aus.
    Ein ganzes Universum voller Lebewesen, die sich auf wundersamste Art und Weise zu einander hinzogen, sich zusammenschlossen, eine Familie aufbauten, sich an ihren Erfolgen erfreuten und die Rückschläge gemeinsam ertrugen. Irgendwo in diesem Universum war er. Irgendwo im Nirgendwo. Verloren im All. Allein.

    Einsamkeit. Keine Erinnerungen, keine Träume, keine Sehnsüchte würden ihn aus diesem Zustand herausreißen können. Taten – Draggus blickte an sich herab – zu Taten war er nicht mehr fähig. Seine Rasse, sein Volk – zum Kämpfen geboren, lebten sie um auf irgendeinem Schlachtfeld zu sterben. War es ein Fluch außer dem Töten nichts anderes im Leben zu Gesicht zu bekommen? Ein Segen, dadurch gegenüber anderen Problemen ignorant sein zu können? Oder war es einfach ihr Schicksal – Draggus wusste keine Antwort darauf. Sein Wunsch war es etwas zu erschaffen, etwas das nicht mit dem Tod von jemandem begann und auf dem Leid anderer fortbestand.

    Ein schwaches Aufflackern in seinem Körper schenkte ihm den letzten klaren Blick auf die riesige Raumstation vor ihm. Draggus musterte die unzähligen Anordnungen auf den künstlichen Auswüchsen. Die Industriegebiete, die Wohnmodule. Sah unzählige helle Punkte auf diesen leuchten. Fenster, die das Licht von heimischen Herden in den Weltraum entließen. Millionenfach wärmer als jeder Stern. ‚Schade’ Draggus bedauerte, das Omega keine äußeren Atmosphärenschichten besaß, wie ein Planet. Bedauerte, dass er mit seinem stählernen Sarg nicht in Flammen aufgehen konnte, während er auf diesen Felsbrocken hinabstürzte. Bedauerte einem Waisenkind, das womöglich irgendwo da unten sehnsuchtsvoll den nächtlichen Himmel beobachtete, nicht den Anblick einer Sternschnuppe schenken zu können.

    Der Wunsch würde unerfüllt bleiben. Er war gescheitert. Für immer. Endgültig.


    Omega - das Ende aller Dinge.

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