Invisible Hand – Deck 4 und Feuerleitzentrale
Korridor/Feuerleitzentale
20:22 Uhr
Das Bedienfeld der Tür leuchtete provozierend rot, als wolle es Shaiya mit aller Macht entgegen schreien: „Du kommst hier nicht rein!“ Die junge Asari verengte die Augen konzentriert und verwünschte schließlich ihre geringen Technikkenntnisse, die verhinderten, dass sie das Türschloss einfach umgehen konnte. Ihr blieb nur die Hoffnung, dass sich in dem Trupp Blue Suns jemand befand, der damit zurecht kam – oder dass Alora dem Schloss zuleibe rückte, wie zuvor, als sie die Tür zur Küche gehackt hatte.
„Ich mache das“, murmelte Alora. „Und benutz diesmal gefälligst deine Waffen früher. Es war reines Glück, dass die dich vorhin in der Küche nicht gleich abgeknallt haben.“
„Als ob ich das nicht vorhätte“, zischte Shaiya ihr zu und zog demonstrativ ihre Maschinenpistole, um damit ebenso demonstrativ vor Aloras Gesicht herum zu wedeln. „Zufrieden?“
„Ja... gut so. Und sei diesmal nicht so zimperlich. Du bist nämlich weich geworden in den letzten Jahrzehnten. Früher hättest du die Blue Suns einfach auseinander genommen. Und jetzt… Bah.“
„Ich habe meinen Horizont erweitert“, zischte Shaiya zurück. „Das rate ich dir auch. Man kann Probleme auch ohne Gewalt lösen.“
Alora grinste. „Ja, klar. Aber mit Gewalt macht es mehr Spaß.“ Mit diesen Worten schaltete sie ihr Universalwerkzeug ein und begann damit, das Schloss zu umgehen. Shaiya presste die Lippen aufeinander und beobachtete ihre einstige Gefährtin aus verengten Augen. Alora sah aus, als würde sie wieder ohne Rücksicht auf Verluste in den Raum stürmen und einfach alles verwüsten, was dumm genug war, sich auf ihrem Weg zu empfinden. Kroganerkind eben. Ich hoffe nur, dass sie, wenn es erst anfängt, noch wach genug ist, Freund und Feind voneinander zu unterscheiden. Denn darauf, erneut von Alora angegriffen zu werden, legte Shaiya Nessari nun wirklich keinerlei Wert.
Nach einer endlos erscheinenden Wartezeit – wobei es sich eigentlich nur um Sekunden handeln konnte, wie Shaiya rein rational auch jenseits jeden Zweifels wusste, aber ihr persönliches Empfinden richtete sich nun einmal nicht strikt nach der tatsächlich vergangenen Zeit – färbte sich das Bedienfeld der Tür einladend grün und Alora brauchte es nur noch leicht zu berühren. Zischend tat sich die Tür vor der Söldnerin auf.
Shaiya riskierte einen Blick in die Feuerleitzentrale. Sie erkannte Computer, verschiedene Stationen – vermutlich für Radar und ähnliches -, blinkende Lichter hie und da, und, wesentlicher wichtiger – deswegen fokussierte ihr Blick sich auch direkt darauf – schwer bewaffnete und ziemlich wütend aussehende Rassisten, aus deren strikt gen Tür gerichteten Waffenmündungen nun die ersten Projektile in Richtung der Gruppe Blue Suns und der beiden Asari flogen.
„Tötet den Alienabschaum!“
„Säubert das Schiff!“
„Macht sie fertig!“
„Für die Herrschaft der menschlichen Rasse!“
Shaiya konnte gerade noch rechtzeitig in Deckung gehen, ehe die ersten Projektile sie trafen. Sie hatte keine Ahnung, wie lange ihre Powerpacks sie noch schützen würden und eine biotische Barriere aufzubauen ging im Augenblick noch ein wenig über ihre Kräfte. Es war eine Sache, die Biotik fokussiert und schlagartig zu entladen, aber eine langwierige Konzentration auf etwas wie einen biotischen Schild war etwas ganz anderes. Die nötige Konzentration dazu fehlte ihr noch immer.
Alora hatte längst die Feuerleitzentrale gestürmt und raste in halsbrecherischem Tempo auf eine Gruppe Nebelparder zu, um diese aus nächster Nähe mit Ladungen von Schrot zu durchsieben. Shaiya konnte ihre Schreie hören und sehen, wie ihr Blut in einem feinen roten Sprühregen auf die Apparaturen in der Zentrale niederging und auf dem Boden feuchte, leicht dampfende Pfützen bildete.
Shaiya selbst beschränkte sich darauf, aus der Deckung Schüsse abzugeben und gleichzeitig langsam dunkle Energie zusammen zu ziehen, um diese dann gezielt entladen zu können. Die Blue Suns hingegen hatten sich längst selbst in den Kampf geworfen, ihre eigenen Kampfschreie ausstoßend – „Für Omega!“, „Bringt das Rassistenpack um!“, „Die Terminussysteme gehören uns, ihr Nebelratten!“, „Wir machen euch fertig!“ – und aus vollen Gewehrmündungen feuernd. Die Schreie, die aus der Leitzentrale hinaus an Shaiyas Ohren drangen, waren jedoch nicht allein solche des Kampfes. Immer mehr Schmerzenslaute mischten sich darunter. Auch solche der Angst waren inzwischen zu vernehmen.
Shaiya wurde allmählich gezwungen, die Maschinenpistole zu senken. Zu groß war die Gefahr, in dem Getümmel einen Verbündeten zu treffen. Eine Verbündete… und nicht einmal bei ihr bin ich mir sicher… Allmählich sickerte die finstere Erkenntnis in ihr Hirn, dass sie nicht mehr lange mit dem Rücken zur Wand des Korridors herumstehen und einfach in den Raum feuern konnte. So würde es ihr kaum gelingen, produktiv etwas beizutragen.
Also schön… Die ehemalige Söldnerin stieß sich von der Wand ab und hechtete in den Raum hinein. Hektisch sah sie sich um, suchte nach einer halbwegs brauchbaren Deckung, die sie erreichen konnte, ehe ihre Schilde zusammen brachen. Mehrere Schüsse trafen ihre kinetischen Schilde und wurden von selbigen absorbiert. Shaiya schickte ein Stoßgebet zu Siari – Ich will nicht sterben! Ich bin noch viel zu jung! Ich will meine matriarchale Phase noch erleben! – und erblickte die rettende Deckung einige Schritte links von sich, als hätte Siari ihr Flehen erhört und ihr gnädig den Weg gewiesen.
Shaiya beschleunigte noch etwas, raste in halsbrecherischem Tempo auf die Deckung – die sich ihr in Form einer Radarstation präsentierte – zu und verlor in der Eile das Gleichgewicht. Ihre Füße rutschten auf irgendetwas… Glitschigem… aus, das den Boden wie ein Film bedeckte. Mit einem Fluch, der jeden kroganischen Warlord vor Neid hätte erblassen lassen, verloren ihre Füße auf dem glitschigen Untergrund den Halt und Shaiya landete äußerst „elegant“ mit dem Gesicht voran auf etwas weichem, feuchten. Augenblicklich füllten sich ihre Nase und ihr Mund mit etwas, dass leicht metallisch und ziemlich salzig schmeckte und einen heftigen Würgreiz in ihr auslöste. Zu allem Überfluss trommelten weiterhin Schüsse penetrant und unaufhörlich gegen ihre schmale Gestalt.
Verdammt… Shaiya richtete sich langsam auf, blinzelte heftig und spuckte Blut aus – menschliches Blut. Wenigstens etwas. Aber nicht mehr lange und das da ist meines. Vorsichtig brachte die Asari die Füße wieder unter ihren Körper und starrte anschließend feindselig auf die heimtückische, leuchtend rote Blutlache, der sie ihren unrühmlichen Sturz zu verdanken hatte. Ihr nächster, wütender Blick zielte in Aloras Richtung. Auch, wenn Aloras Vater ein Kroganer gewesen war, musste sie deswegen auch wie ein Kroganer kämpfen?
Aber jetzt blieb Shaiya keine Zeit, sich über diese Tatsache zu beschweren, denn die Schüsse trommelten weiterhin auf ihre Schilde ein, nur allzu begierig, diese nieder zu reißen und Shaiyas junges Leben zu beenden. Eilig hechtete Shaiya los, diesmal allerdings mit mehr Umsicht. Sie musste diese Deckung erreichen, ehe ihre Lebensgeschichte hier und jetzt ein blutiges, gewaltsames Ende fand! Diese Deckung war jetzt alles, was zählte. Alles andere war unwichtig. Sie musste nur diese Deckung erreichen!
Da! Endlich! Höchst willkommen begrüßte die Deckung Shaiya und die junge Asari klammerte sich daran fest wie eine Ertrinkende an einem Stück Treibholz, um sich mit Schwung dahinter in Sicherheit zu bringen. Erst, als ihr Rücken sich fest gegen das eine relative Sicherheit versprechende Pult berührte, fiel der jungen Asari auf, dass sie zitterte. Tausend Gedanken spielten in ihrem Kopf Fang mich! Tausend Gefühle tobten in ihrem gesamten Körper und gaben einfach keine Ruhe. Ihr Herz hämmerte so laut gegen ihre Rippen, als versuche es, aus ihrem Brustkorb zu entkommen.
Das war knapp! Verdammt noch mal, das war knapp! Das war… wirklich… knapp…
Mut hin oder her, sie hatte keine Lust zu sterben, und sie würde nicht zulassen, dass die Nebelparder ihre Leiche zu sehen bekamen. Dass hatte sie sich geschworen und, bei Siari, sie würde dafür sorgen, dass sie diesen Schwur erfüllen würde. Sie würde heute Nacht nicht sterben. Und schon gar nicht an diesem Ort. Sie hatte noch nicht lange genug gelebt, und an das Prinzip eines Heldentodes glaubte sie nicht. Jedes Opfer dieser Schlacht würde vergessen werden, aber an die Überlebenden würde man sich erinnern.
Und da behaupte ich auch noch, mir liegt nichts am Ruhm. Soviel dazu.
20:23 Uhr