20:18 Uhr
Invisible Hand, Hauptbrücke
Jacob Fisher. Ein Mann, der in seinen kurzen 25 Jahren schon einige verrückte Dinge gesehen hatte, zweifelte gerade nicht nur an seinen blauen Augen, sondern auch an seinem Verstand, seiner Wahrnehmungsfähigkeit und daran, ob er tatsächlich noch am Leben war, oder sich ihm das ausgereifte, von vorne bis hinten durchkalkulierte Schauspiel nur bot, weil ihn gerade die Reste seines Lebens verließen. Aber nein. Nichts davon schien zu stimmen. Das, was er sah, war real. Und trotzdem war er vollkommen überrumpelt von dem, was Aric da veranstaltete. Mit biotischer Barriere verließ er seine Deckung und postierte sich inmitten der Brücke, gab sich somit förmlich zum Abschluss frei. Vier Waffen hätten den Drell ohne große Mühen zerreichen können. Das hätte jeder wissen müssen. Doch die Offiziere hatten vermutlich wirklich nicht viel Ahnung von dem, was sie taten oder tun mussten. Nach dem Angebot des Drells, das Jacob von vornerein als Falle abgehakt hatte, war die verzweifelte Frau, die mit ihrem Leben vermutlich schon abgeschlossen hatte, die erste, die die Gunst der Stunde erkannte und die Brücke verließ.
Spätestens in dem Moment, in dem die junge Frau über ihre nervösen Beine stolperte, hätte Jacob gedacht, dass sich ihr Blut gleich auf dem Boden ausbreiten würde. Doch er hatte falsch gedacht. Agapios ließ sie ziehen. Genau wie die anderen.
Was zur Hölle war das gerade? Jacob war noch immer etwas verwundert. Verwundert über das, was gerade passierte – und nicht passierte. Aber vor allem darüber, dass Aric sich die Chance entgehen ließ, jemanden umzubringen, der ihm nicht ins Konzept passte. Und dann, einige Sekunden später, wurde es Fisher klar. Konzept. Plan. Dieser Spinner ist verrückt. Der muss verrückt sein, sich darauf zu verlassen. Der gelbschuppige Drell musste also von Anfang an gewusst haben, dass die Offizieren aufgeben würden. Und hätte er das Feuer eröffnet, hätten die Nebelparder es erwidert – und er wäre dabei gestorben. Was im ersten Moment also nach purem Egoismus aussah, entpuppte sich dann schnell als durchaus sinnvoll. Die Brücke war gesichert, der Kampf beendet. Sie hatten die Instrumente für sich.
„Sie können sich aufrichten, Mr. Fisher, das Schiff gehört uns.“ Aric grinste zufrieden, ließ auf seinen Lippen jedoch einen merkwürdigen Beigeschmack aufleuchten. Jacob kümmerte sich nicht weiter darum. Er nahm sein Gewehr und tat, was Aric ihm sagte, und wurde dabei auf schmerzhafte Weise daran erinnert, dass seine Rippe noch lange nicht verheilt war. Ein Stechen in der Brust pumpte ihm die Luft aus den Lungen. Doch er fing sich schnell genug wieder, um nicht darauf aufmerksam zu machen.
Das Gewehr locker in der linken Hand haltend, bewegte er sich auf Aric zu. „Hey“, fing er an, „Wenn Sie nicht so ein Arschloch wären, würde ich Sie vielleicht respektieren.“ Es war merkwürdig, solche Sprüche zu bringen, wenn man wenige Augenblicke zuvor schon sein Leben an den eigenen Augen vorbeiziehen sah. Doch das sichere Gefühl, dass in Windeseile die Brücke eroberte, machte auch vor Jacob keinen Halt.
Einen knappen Meter von Agapios entfernt, stoppte der 25-jährige schließlich und rief sich wieder ins Gedächtnis, dass auf den anderen Ebenen des Schiffs vermutlich noch immer gekämpft wurde. Im Hangar waren die letzten Projektile vermutlich ausgetauscht worden. Doch wie sah es mit den Sekundärzielen aus? Wie sah es bei Kate aus? Verdammt, ich hoffe, dir geht’s gut. Einen Moment lang beäugte Jacob Aric, vertieft in die eigenen Gedanken. „Wieso arbeiten Sie für mich beziehungsweise für Alpha Chimera? Wieso helfen Sie Omega? Für sich? Für die Unschuldigen dort? Oder ist es für Kate? Sie sollten den Grund stetig im Auge behalten, Mr. Fisher. Nur das zählt“ Das waren Arics Worte, doch sie erklangen mit Jacobs eigener Stimme, hallten immer wieder durch seinen Kopf. Der Drell hatte Recht – und das gab ihm zu denken. War hinter der kalten, toten und vor allem gelben Maske vielleicht doch mehr? Vielleicht sprach er sogar aus Erfahrung…
„Also? Wie geht’s jetzt weiter?“, erkundigte Jacob sich, nachdem er wieder in der Realität angekommen war.
20:20 Uhr