Kyoko stand auf, streifte im Gehen geübt Helm und Handschuhe ab und beugte sich dann über Merlen, um mit den antrainierten Handgriffen aus einer, von wem auch immer durchgeführten, Grundausbildung mit einer Erstversorgung zu beginnen. Aber schon in dem Moment, in dem sie die fahle Blässe des Salarianers vor sich sah und schließlich klamme kalte Haut unter ihren Fingern spürte, wusste die junge Frau, dass es ein Kampf war, den sie nur schwerlich würde gewinnen können. Sie hörte, wie das Schießen begann, während sie das Erste ihrer Medigelpacks einsetzte. „Keine Sorge, Merlen, Dich kriegen wir schon wieder hin.“ ‚Und auch du mach dir keine Sorgen, Shuttle. Gegen deine kinetischen Barrieren haben die hier nichts wirklich Wirksames im Hangar herumstehen. Denn dann hätten wir es schon gespürt, oder dieser fornaxlesende Rassistentrupp wäre doch tatsächlich noch unfähiger, als es jetzt schon den Anschein hat und bräuchte schiere Ewigkeiten um diese, hoffentlich dann aber doch nicht vorhandene, Waffe schließlich und endlich auch einzusetzen.’ „Und Du Merlen, mach gefälligst etwas mit, atme! Los!“
Die Pilotin stieß hörbar ihren Atem aus, den sie vor Anspannung angehalten hatte und es klang, als würde sie dem Salarianer ein Beispiel geben wollen. „Ah, schön, geht doch mit dem Atmen! Ein wenig mehr wäre aber schon schön, nicht so stotternd. Geht doch!“ ‚Also mein Geld geht aber schon eher auf die Unfähigkeit in Sachen Wir-Sind-Zwar-Eigentlich-Ziemlich-Blöd-Halten-Uns-Aber-Für-So-Toll-Und-Greifen-Deshalb-Gleich-Mal-Omega-An-Weil-Wir-Sonst-Nichts-Vernünftiges-Zu-Tun-Haben-Parder, denn wer lässt sich heutzutage denn noch sooo problemlos entern? Und trotz aller Schießerei da draußen im All, sind doch erstaunlich viele Angriffsshuttle durchgekommen. Von unserem Angriffstrupp immerhin einhundert Prozent! Nicht schlecht oder? Na ja bei einem Shuttle nicht wirklich schwierig, denn im Zweifelsfall wären auch einhundert Prozent gescheitert. Aber normalerweise hätte erst die zweite oder dritte Welle eine Chance gegen eine ordentliche Nahverteidigung haben sollen! Spricht nicht für den Captain der Gegenseite. Oder deren Konstrukteure, wenn sie ein derartig großes Schiff nicht mit genügend Nahverteidigungswaffen ausstatten! Selber Schuld! Denn nach allen Szenarien müssten wir eigentlich da draußen mit ein paar großen Löchern im Rumpf herumdümpeln, aber: Hey! Dann wäre der ganze Spaß doch viel zu kurz gewesen. Und ebenso: Hey! Hier kämpfen schließlich Rassisten gegen Söldner, da kann es schon mal etwas ungewöhnlich zugehen, oder? Wobei mir das eine Loch in Merlen gerade mehr Sorgen machen sollte, als irgendwelche theoretischen…’
Kyoko nahm dem Salarianer die durchschossene Brustplatte ab. ‚Okay, okay, Salarianer haben doch nur ein Herz, oder? Was sagt das Diagnosegerät?’ „Komm schon, Merlen, weiter mitmachen!“ ‚Okay, okay, nun sind wir aber eben schon mal hier und die Spitze militärischer Fähigkeiten scheint uns glücklicherweise nicht gegenüberzustehen. Aber ich wette, sie haben tolle Uniformen und Epauletten und Orden. Und viel: Aye, aye, Sir! Und Jawohl, Sir!-Rumgebrülle und Fußgestampfe und glanzvolle Titel und prachtvolle Casinos, wo sie sich gegenseitig auf die Schulter klopfen können und rumtönen, wie sie es diesen Aliens mal so richtig zeigen werden. Und zum Schluss, allein und hinter verschlossenen Türen, wird dann doch wieder der Fornax gezückt. Also echt, Kyoko, du bist besessen von diesem Bild, ehrlich! Aber einen Hangar so abzusichern, dass er nicht vom nächsten zufällig vorbeikommenden Shuttle geentert werden kann, das ist dann im Budget nicht mehr drin, das habt ihr Nebelschwaden nicht drauf, oder? Oder Gott sei Dank haben sie es nicht drauf! Hör dir doch mal zu!’
Kyoko rümpfte ihre zierliche Nase. ‚Es muss in der Tat mehr Unordnung als gedacht in meinem armen Kopf herrschen, dass ich mir so viele Gedanken um die Fehler der Feinde mache. Aber wahrscheinlich will ich mich auch einfach nur von der Tatsache ablenken, dass Merlen hier gleich stirbt, verdammt dieses Medigel wirkt nicht richtig, ich brauche mehr… Was sagt denn nun wieder das verfluchte Diagnosegerät?’ „Atme, Merlen! Los, das ist ein Befehl!“ ,Aber jeder von den Fehlerpardern gemachte Fehler bedeutet schließlich bessere Chancen für uns. Und hinterher fragt keiner, ob es leicht war oder schwer oder was auch immer. Gewonnen ist gewonnen. Dann können die ganzen Söldner sich auf nachher auf Omega die Schultern klopfen und rumtönen, dass sie es diesen Rassistenpardern mal so richtig gezeigt haben.’ „Und Du wirst dann gefälligst auch mitmachen und stirbst mir hier nicht einfach so weg, hast Du mich gehört Merlen!“
Die Pilotin wurde kurz von einer aufleuchtenden Kontrolle abgelenkt, aber die zeigte nur an, dass Alec ein paar Systeme herunterfuhr und keine neue Gefahr das kleine Schiff bedrohte. ‚Ich meine, die Söldner da draußen bedeuten mir nicht wirklich viel, aber wenn sie ein paar Rassisten vom Angesicht der Galaxis fegen, dann bin ich gern auf ihrer Seite und mögen die Mein-Hangar-Ist-Gerade-So-Schön-Offen-Kommt-Doch-Ruhig-Mal-Auf-Eine-Fröhliche-Schießerei-Vorbei-Parder auch so ihre winzigen Schwächen im Raumkampf haben, als Infanterist ist das nachher echt scheißegal… Achte auf deine Sprache, junge Frau!’
Kyoko runzelte die Stirn, als sie diese vertraute fremde Stimme in ihrem Kopf hörte. ‚Wie gesagt, als Infanterist reicht ein einziger Fehler, ein dummer Zufall, eine Unaufmerksamkeit und du bist tot. So tot wir Merlen, wenn ich diese gottverdammte Blutung nicht bald gestoppt bekomme. Aber wie es nun langsam scheint, haben die Dämmerparder doch keine große Waffe hier versteckt, an die sich gaaanz laaaangsaaaam erinnern und die uns deine Außenhülle um die Ohren fliegen lassen könnte, nur die Infanterie stirbt da draußen und Merlen… Scheiße, Scheiße…’ „Scheiße!“
Die Pilotin fluchte leise weiter und ihre Hände flogen über Merlens schmächtigen Körper. ‚Schade nur, dass wir mit den Gardians nicht selbst eingreifen können. Schalte ich die auf, verdampfen die doch sofort alles, was sich im Hangar bewegt. Na ja außer einigen der unfähigen Verteidiger vielleicht. Deren Reaktionszeit könnte schließlich so langsam sein, dass sie die Gardianzielerfassung prompt unterlaufen könnte. Oh Mann, Kyoko: Sei doch froh, dass die Fornaxparder genug Nebel im Hirn haben, um sich entern zu lassen. Und dass sie genug Nebel im Hirn haben, dass den Hangar nicht kollabieren lassen, oder, oder, oder… Die Alternative wäre doch nur ein kaltes dunkles Grab da draußen oder eben hier drinnen und glaube bloß nicht, dass die hier auf Omega viel Wert auf Hinterbliebeneninformation oder anständige Begräbnisse legen würden. Wahrscheinlich würden wir im Falle eines Scheitern alle nur irgendwann in einem Vorchamagen landen.’ „Verdammt, Merlen, Dich hab ich mit dem Sterben nicht gemeint, bleib gefälligst bei mir!“
Die Pilotin hatte ihre eigenen Medigelvorräte verbraucht und zog nun eine weitere Dosis aus der entsprechend gekennzeichneten Tasche von Merlens Rüstung. ‚Andererseits würde etwas schwere Unterstützung unserer menschlichen Fracht wohl ganz gut helfen, das klingt da draußen schon nach einem blutigen Gefecht… Verdammtes Merlenblut, bleib gefälligst drin… Aber wie auch immer, Gardian geht nun einmal nicht, höchstens nach dem alten Motto: Artillerie kennt weder Freund noch Feind, nur lohnende Ziele… Aber vielleicht gibt es irgendwo eine Luke, durch die man nachher… Du stirbst mir hier nicht, hast du gehört! Also durch die man ein wenig mitmischen könnte. Ich will hier nicht nur rumsitzen und Zielscheibe spielen und Grimassen durch die Cockpitscheibe ziehen…’ „Scheiße, Merlen, ich habe es dir doch schon einmal gesagt: Bleib gefälligst bei mir! So ist gut. Ja, weiter so!“
Alec plapperte unterdessen erleichtert: „Hui… das nenne ich mal einen wilden Flug, ich wusste gar nicht, dass Sie so viel auf dem Kasten haben, ohne die Kunststücke die Sie da draußen vollführt haben, hätten wir erheblich größere Schäden zu beklagen. Es sind nur einige Energierelais durchgebrannt und der Antrieb hat leichte Schäden davon getragen, nichts Spektakuläres. Wie sieht es bei Ihnen da vorne aus? Was ist mit Merlen? Ich komme sofort zu ihnen nachdem ich ein Kühlungsleck abgedichtete habe.“ Der Techniker eilte bald nach vorn, wo Kyoko sich indes erschöpft vom Piloten abgewandt hatte. Das Diagnosegerät blinkte grün.
„Merlen ist stabil. Hat aber verdammt viel Blut verloren.“ Kyoko blickte müde vom zusammengesunkenen Körper des Salarianers auf die Cockpitscheibe. ‚Ich sollte aber wenigstens dem Scheibenhersteller einen Dankesbrief schicken. Was immer sie für eine Technologie erfunden, verwendet, kopiert oder geklaut haben, die hat das Ding hier zusammengehalten und für uns war es somit die Lebensversicherung. Ist zwar nur ein simples kleines Loch… Aber dummerweise genau an der falschen Stelle. Zumindest für Merlen. Genau so ein simples kleines Loch wie in seinem Brustkorb. Und trotzdem fast ein Loch zuviel. Aber wenigstens brauchst du noch nicht die nächste Speiche deines Lebensrades zu erklimmen. Noch nicht!’
„Schauen Sie sich Merlen bitte mal an, Alec. Sie scheinen mehr medizinische Erfahrung zu haben als ich. Jemand muss sich um die Scheibe kümmern und jemand sollte einen Blick von außen auf das Schiff werfen. Nach den Allia…“ ‚Bist du dir da sicher?’ „Also, also nach den Vorschriften sollte der Chefpilot im Shuttle bleiben.“ Kyokos Augen huschten nach rechts. „Im Augenblick bin das ich! Und der Copilot checkt das Schiff.“ Die Augen der jungen Frau fanden Alec’s. „Das wäre im Moment allerdings auch ich. ‚Und der Tech ist in dem Fall wohl dann Dumme. Ich könnte Alec ja zum Copiloten ernennen, dann wäre zumindest den Vorschriften genüge getan und vielleicht würde er sich auch besser fühlen. Wäre er ein Schwadenparder würde er bei so einer Beförderung wahrscheinlich vor Stolz bald platzen, mit den Füßen stampfen und toll salutieren. Jawohl, Ma’am! Danke, Ma’am! Liebe mehr Lametta, auch virtuelles, Ma’am!’
„Ich denke, wenn sich der Lärm draußen einigermaßen gelegt hat, sollten wir die Sache umgehend angehen. Sollten wir einen Notstart machen müssen, will ich das Shuttle voll einsatzbereit! Fragen? Vorschläge? Einwände?“
19.42 Uhr