Nos Astra - Mittlere Ebenen: Geschäftsviertel
In der Nähe von Yunans Wohnung
06:17 Uhr
"Sie sind nicht angehalten, mir Ihren Hass auf mich zu erklären, Helia", meinte Linnala kühl. "Ich kann Ihren Standpunkt ja durchaus nachvollziehen. Aber in einem irren Sie sich: Ich will nicht töten. Die Exekution ist nicht das, was mich an meinen Aufträgen reizt, andernfalls hätte ich diesen hier gar nicht angenommen. Es ist auch nicht die Bezahlung, falls Sie das glauben. Es ist die Herausforderung."
Linnala warf der jungen Quarianerin einen kurzen Seitenblick zu. "Und im Gegensatz zu dem, was Sie glauben, rede ich gerne mit Ihnen. Ihr Standpunkt ist vielleicht naiv, aber interessant. Ich würde nicht wollen, dass meine Tochter oder... irgendjemand anderes, der mir nahesteht, den selben Weg geht, den ich eingeschlagen habe. Es ist ein gefährliches Leben... ich wünsche Ihnen so etwas nicht, Helia. Ich wünsche Ihnen nur, dass Sie lernen, sich zu verteidigen, wenn jemand Sie bedroht. Die Wahrheit ist leider, dass sich nur wenige Konflikte wirklich diplomatisch lösen lassen. Wenn jemand Ihnen eine Pistole gegen die Brust drückt, wird er sich nicht davon abbringen lassen, Sie zu töten, nur weil Sie ihn darum bitten, es zu lassen. Ich kann Ihnen zeigen, wie Sie sich wehren." Linnala lächelte dünn. "Und nein, ich will Ihnen keine Killerin aus Ihnen machen... es geht dabei nur um Selbstverteidigung. Techniken, die es Ihnen erlauben, Ihren Feind zu entwaffnen, zu betäuben oder, wenn es nötig sein sollte, kurz- bis langfristig außer Gefecht setzen. Es richtig keine bleibenden Schäden an und es wird auch kein Blut dabei vergossen."
Linnala hielt inne, nur für den Bruchteil einer Sekunde. Ich bin eine Närrin! Ich muss aufpassen, was ich sage... es ist wider gegen jede Vernunft, dass ich es immer noch tue. Vollkommen unsinnig. Ich sollte einfach gehen. Ihr einen anderen Beschützer an die Seite stellen, der dafür ausgebildet ist und verschwinden. Ohne ein Wort des Abschieds, genau wie damals. Aber das kann ich jetzt nicht mehr. Demütigend.
Die Asari setzte an, noch etwas zu sagen, unterließ es dann aber doch. Sie beobachtete Helia aus dem Augenwinkel. Es gab vieles, was Linnala Caryalan absolut kalt ließ. Aber die Quarianerin gehörte nicht mehr dazu, und ob Helia es jetzt glauben wollte oder nicht - es ging der Attentäterin längst nicht mehr um die Credits. Oder - lenkte sie ein - zumindest nicht mehr nur um die Credits.
Das Mädchen musste überleben. Um jeden Preis. Und zwar nicht, weil ein mysteriöser, namenloser Auftraggeber ihr bis zu 200 000 Credits dafür versprach, sondern weil Linnala... einfach nicht wollte, dass das Mädchen starb. Um des Mädchens selbst willen.
Das ist Irrsinn. Ich kenne sie kaum. Sie ist naiv, unerfahren und ihr Idealismus ist ekelerregend... aber trotzdem kann ich sie nicht sterben lassen.