Antirumgon - Raumhafen -->
Uhrzeit 15.00 Uhr [Tag 5] - 35 Stunden nach Antirumgon
Kyoko öffnete die Augen und ihr Blick fiel auf ein harmonisches Deckenmuster. ‚Nett. Nicht die profanen Platten, die sonst überall… Oh, verdammt, ich bin heute zum Shuttledienst eingeteilt. Oh Gott, wie spät ist es eigentlich? Der Lieutenant reißt mir den Hintern auf, wenn ich zu spät komme…’ Kyoko griff hastig nach dem Chronometer, welches an der Wand neben ihr festgemacht war. ‚Ah, noch fast eine Stunde Zeit bis zum Dienstbeginn… Glück gehabt…’ Sie schlang die Uhr um ihr Handgelenk. ‚Hmm, schön schwer.’ Dann warf sie die Decke zurück und sprang förmlich aus dem Bett. ‚Ein toller Tag, so sollte jeder Morgen beginnen. Ich fühle mich erfrischt und ausgeruht, ich kann in Ruhe duschen und ein Frühstück…’
„Wach“, ertönte eine fragende Stimme aus dem Halbdunkel der Kabine.
„Offensichtlich“, antwortete Kyoko gelassen, das T-Shirt halb über den Kopf gezogen. ‚Auf einem Schiff ist man nie wirklich allein, oder?’ „Und wer sind Sie eigentlich und was machen Sie in meiner Kabine? Meine Copilotin sind sie nämlich auf jeden Fall nicht!“ ‚Wa…, Wa…, Wang! Genau! Das ist der Name. Der der Copilotin, nicht der der Fragenden. Komisch, wieso hab ich den Namen nicht gleich…Wa…, Wa…, Wang! Wäre auch ein netter Beat, mehr oder weniger…’
„Ihrer Kabine?“
„Offensichtlich“, antwortete Kyoko erneut. ‚Ich mag dieses Wort, man kann damit gleichzeitig so höflich und so schön herablassend sein… Das Offensichtliche, was sich dem Fragesteller aber eben nicht offenbart, mangels geistiger Kapazität vielleicht, egal… Aber auch ein schönes Wort: Offenbart, aber leider religiös belastet… Na dann wollen wir der unbekannten Fragestellerin, angenehme Stimme übrigens, mal das Offensichtliche vor Augen führen…’ „Mein Chronometer über meiner Koje, da in der Ecke liegt meine Rüstung.“ ‚Blau und weiß, eine schöne Kombination, passt auch sehr schön zu meinen braunen Augen, ich mag meine Augen… Hihi, Kyoko Young, kann es sein, dass du eitel bist?’ „Und wenn sie genau hinschauen, können sie am Helm meinen Namenszug lesen: Sergeant Kyoko Young, Pilot. Ich finde das Ganze ziemlich offensichtlich. Aber sie haben meine Fragen noch nicht beantwortet!“ Kyoko zog sich das T-Shirt ganz über den Kopf und griff sich aus ihrem Spind ihr Duschzeug.
„Mein Name ist Scylda“, sagte die Fragestellerin und trat in das Licht einer kleinen Lampe.
‚Hmm. Eine Asari, recht hübsch übrigens, genau wie die Stimme. Und recht hellblau und weiß Gott wie alt. Ob Asari auch eitel sind, was ihr Alter anbetrifft…. Oh, ich bin doch erst Zweihundertdrei, Liebling… Kicher, kicher… Und albern bist du anscheinend auch, Kyoko Young… Ein netter Name, so ziemlich das einzige Nette aber, was mir meine gottverdammten Eltern mitgegeben haben, mögen sie in der Hölle schmoren… Naja, die Augen noch… Aber an meinen Hüften muss ich noch arbeiten, so wie ich sie jetzt im Spiegel sehe. Wo kommen eigentlich all die Schrammen und blauen Flecken an meinen Beinen her? Kann mich gar nicht an ein so intensives Training erinnern? Ach egal, erst mal hören, was die Hellblaue zu sagen hat… Ziemlich intensiver Blick übrigens…’ „Gefällt Ihnen, was Sie sehen?“
„Offensichtlich“, antwortete die Asari.
‚Hehe, sie hat Humor. Gefällt mir.’ „Ich weiß aber immer noch nicht, was sie von mir wollen. Nicht, dass ich unhöflich sein will“, ‚Gelogen.’ „Aber es wäre nett, wenn sie es mir sagen könnten.“
„Sie sind mir zugeteilt!“
„Zugeteilt? Vom Lieutenant?“
„Offensichtlich“, sagte Scylda und mustere Kyoko von Kopf bis Fuß.
‚Ah da ist es schon wieder, aber diesmal war ich etwas schwer von Begriff, ein Punkt gegen mich, nur noch Zwei zu Eins, denn wer würde mich den sonst zuteilen dürfen. Der Lieutenant hat hier das alleinige Sagen. Klare Kommandokette, so muss es sein!’ Kyoko zuckte die Achsel. „Will noch unter die Dusche.“ Der Asari war dies kein Wort wert. ‚Naja, wenn sie warten will.’ „Bin gleich fertig!“ ‚Und wieder gelogen.’ Die junge Frau verschwand in der Sanitärzelle und tauchte erst nach einer guten Viertelstunde wieder auf. Die Asari schien sich währenddessen nicht bewegt zu haben.
„Hatte noch nie ein Schiff wo jedes Crewquartier eine eigene Dusche hatte. Man merkt eben, dass es ein Hanarschiff ist, die lieben ja das Wasser. Waren Sie schon mal auf Kahje“, plapperte Kyoko, während sie sich sorgfältig jedes einzelne Rüstungsteil anlegte.
„Nein“, antwortete Scylda.
„Hmm, ihr Gesicht kommt mir irgendwie gar nicht bekannt vor, ist komisch auf einem Schiff, da läuft man sich doch eigentlich alle naselang über den Weg.“ ‚Subtilität dein Name ist… auf jeden Fall nicht Kyoko!’
„Arbeite im Wissenschaftsbereich.“
„Und was erwissenschaften sie dort?“ Kyoko klemmte den Helm untern ihren Arm. ‚Ist ja schön und gut, dass man ihn im Dienst immer aufhaben muss, aber noch bin ich ja nicht im Dienst, aber andererseits wie hat es dieser grantige alte Ausbilder… Kronk oder so, immer gesagt: Ein Söldner ist immer im Dienst. Übrigens ein hässliches Wort. Diese edlen Soldaten bekommen doch auch Geld für das, was sie tun. Gut, unsere Auftraggeber sind nicht immer gewählt, aber in Anbetracht mancher Politiker auch nicht so schlimm, währenddessen…’
„Das ist geheim“, unterbrach die Asari Kyokos Gedankenfluss.
‚Klar, so was ist immer geheim, deshalb nie zu viele Fragen stellen, irgendwann erfährt man sonst etwas, das man eigentlich gar nicht wissen will und so etwas wiederum verkürzt die ohnehin schon kurze Lebenserwartung… Mein Gott, eintausend Jahre kann sie alt werden. Stell dir mal vor, sie heiratet früh, vielleicht eine neunhundertjährige Ehe… Großer Gott! Wie würde man denn so ein Jubiläum eigentlich nennen? Gold gibt’s ja schon für 50 Jahre… Das E-Zero’ne hoch Acht…’ „Aber Ihr Spezialgebiet dürfen sie mir doch nennen?“ ‚Neugier, dein Name ist auf jeden Fall Kyoko!’
„Kognition“, antwortete die Asari.
„Ah ja. Irgendwas mit dem Gehirn, oder? Ist ziemlich gefährlich an Gehirnen herum zu experimentieren, oder?“ ‚Boah, welch eine üble Vorstellung, nur noch ein sabberndes Wrack zu sein oder nicht mehr zu wissen, wer man eigentlich ist… Mir läuft es wirklich kalt den Rücken runter.’
„Offensichtlich“, sagte Scylda.
‚Nein, diesen Punkt bekommt sie nicht. Das war nur eine rhetorische Frage, ich weiß ja, dass es gefährlich ist.’ Kyoko grinste kurz. „Wofür brauchen sie eigentlich eine Pilotin?“
„Um ein Paket nach Omega zu liefern.“
„Und wie ich ihren Gesichtsausdruck so einschätze, wird es nun nichts mehr mit meinem Frühstück, oder?“ ‚Ha, noch eine rhetorische Frage.’ „Naja, sie sind der Boss.“ Kyoko öffnete die Tür und winkte der Asari zu. Diese ließ ihren Blick demonstrativ zwischen dem Kopf der Pilotin und dem Helm unter ihrem Arm schweifen. ‚Eine Freundin der großen Worte ist sie aber nicht gerade…’ Kyoko stülpte den Helm über. „Allzeit bereit! Wohin?“ ‚Wenn auch Omega nicht gerade mein Lieblingsziel ist. Selbst für unsereins ist das schon ziemlich weit unten. Aber wie ich gerade gesagt habe, sie ist halt der Boss, sie sagt damit, wo es lang geht und wenn es nun mal Omega sein soll...Bla, bla... Was soll's.’
„Shuttlebucht.“
Die Pilotin rollte mit den Augen. ‚DAS ist auf jeden Fall ein Vorteil.’ Sie streckte der Asari die Zunge heraus. Auf dem Weg durch das Schiff trafen sie nur ein paar Sicherheitsmechs. Schließlich stiegen sie in einen Fahrstuhl. ‚Treppen wären doch viel sicherer im Ernstfall. Es gibt doch nichts Peinlicheres, als eine Schlacht zu verlieren, weil man ihn Fahrstuhl stecken geblieben ist. Das wäre sicher einen Eintrag in die Liste: Eintausend dumme Dinge, die man im Krieg eindeutig nicht tun sollte, wert. Und zwar ziemlich weit oben! Aber vielleicht kann man so ein Teil ja sogar als Ersatzrettungskapsel benutzen. Dann müsste man sich nach der verlorenen Schlacht gar nicht dem Debriefing stellen, sondern könnte mit diesem ungewöhnlichsten aller ungewöhnlichen Gefährte in die Tiefen des Alls aufbrechen, neuen unbekannten Welten entgegen… Wie sich eine Liftkabine wohl so fliegt?’
Kyoko klopfte gegen die Wand der Kabine, was ihr einen strengen Blick der Asari einbrachte. ‚Das mit dem Humor war vielleicht eine verfrühte Einschätzung, allerdings führe ich mich auch auf, wie ein… Ja wie eigentlich? Irgendwie… anders…’ Kyoko verspürte ein ganz flaues Gefühl im Magen, aber es verging im Bruchteil einer Sekunde. Sie zuckte mit den Achseln. ‚Und doch gar nicht so anders. Ach was soll’s. Sich Sorgen machen, ist wie Schaukelstuhl schaukeln, man ist zwar beschäftigt, kommt aber keinen Zentimeter voran… Ich bekomme Kopfschmerzen… Habe ich eigentlich schon immer so viel krudes Zeug gedacht? Oh Mann…’
Die Asari nickte in Richtung des Shuttles. ‚Ein Columbia! Natürlich ein Columbia! Was denn sonst. Es ist immer ein Columbia. Fast immer.’ Zwei Mechs standen daneben und hielten zwischen sich einen ziemlich mitgenommenen Mann in einer Uniform. „Allianz“, Kyoko spuckte das Wort förmlich aus. „Selbstgerechte Gutmenschen!“ ‚Der Helm verzerrt aber ganz schön die Stimme…’
Scylda lächelte fein. „Das Paket.“