Nero fand singen schon immer blöd. Das lag unter anderem daran, dass er es einfach nicht konnte. Es war ihm auch irgendwo peinlich, sogar wenn er selbst allein das Publikum war. Trotzdem tat er es jetzt. Warum, das weiß er so genau auch nicht. Er tat es einfach. Irgendetwas daran war seltsam. Aber er merkte gar nicht, dass es seltsam war. Laut, kräftig, ja, sogar die Töne traf er. Von Sternen und Quarianern und Abenteuern sang er. Nero sang wie ein gefeierter Star, während er entspannt auf einem Hocker vor dem Antriebskern saß, und sein Gewehr zur Kontrolle in seine Einzelteile zerlegte. Als er die Waffe schließlich wieder zusammensetzte, änderte sich plötzlich der Gesang. Er wurde langsamer, weicher, das Klicken der Waffenkomponenten gab den Takt vor. Verträumt, und doch im Geiste seltsam leer, schloss er die Augen.
„In Narshad, eine Menschenfrau,
Einer Asari gleich, nur nicht blau,
Die Finger viel, die Beine lang,
Trotzdem schau’ ich sie gerne an,
Das Gemüt so heiß, die Blicke kühl,
Wenn sie nur wüsste, was ich fühl’…“
„…dann würde sie-eee-e…öh….sieeeee .... würde ….sie….. äh… ehm…uff… ach, Scheiße, mir fällt kein passender Reim dazu ein. Hey, stört’s dich wenn ich hier ein wenig abhänge? Ne, oder?“
Erschrocken riss der Quarianer die Augen auf, als er eine bekannte Stimme, nur wenige Meter entfernt, auf sich zukommen hörte. „Äh… na klar… ich dachte nur… du wärst bei… Vanessa…“ stammelte er hervor, während er trotz verdunkeltem Visier jeglichen Blickkontakt vermied. Sie sah aus wie immer. Nein, nicht ganz. Ihre Haare waren nass.
„Hm ne, die duscht gerade auf der Dashor… man, hier unten ist’s aber ziemlich heiß… wie hältst du das bloß aus…“ Um ihre Worte zu unterstreichen begann die junge Frau damit, sich mit der flachen Hand etwas Luft zuzufächern. Dabei schlenderte sie - scheinbar ziellos - durch den großen Maschinenraum und sah sich eher desinteressiert den Antrieb an. Etwas unbehaglich zumute folgten Neros Augen jedem ihrer leichtfüßigen Schritte.
Gerade als sie kehrt machte und sich in seine Richtung bewegte, gab sich Nero einen Ruck und sagte scherzhaft zu dem gleichaltrigen Mädchen: „Warum ziehst du auch so viel an?“
„Stimmt.“ War die prompte Antwort.
„Stimmt…?“ Der Quarianer legte den Kopf leicht schief und blinzelte sie verwirrt an.
„Stimmt!“ sagte sie fröhlich, und ließ ihre Schutzweste an Ort und Stelle zu Boden fallen.
„Äh… also…“ - „Was ist?“ - „N-n…nix...nix…“ - „Na also. Hmmmm...“
Es war wohl purer Zufall, dass die junge Kriminelle, obwohl sie nicht geradewegs auf ihn zulief, ihm immer näher kam. Nero fand den Antriebskern der Behemoth heute besonders spannend und schenkte ihm dementsprechend viel Aufmerksamkeit. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Doch bevor er sich näher mit dem ‚Was’ und ‚Wieso’ beschäftigen konnte, meldete sich auch schon wieder das Mädchen zu Wort. „Eh, spürst du das etwa nicht? Die reinste Sauna hier…“
Nero sah nicht, wie das Hemd zu Boden fiel. Obwohl der Antrieb laut brummte, hörte er ganz genau, wie das weiche Stück Stoff das kalte Metall unter ihren Füßen beim Aufprall berührte.
Der Antriebskern war wirklich eine Augenweide. Ja, in der Tat.
Der Quarianer konnte den ganzen Tag einfach nur dort sitzen und zusehen, wie…
„Ah, hier bist du also! Erst lässt du mich unter der Dusche alleine, dann sagst du auch kein Wort darüber wohin du… puh, was für eine Hitze…!“
„Verdammt noch mal, was ist los mit euch!?“ brach es plötzlich wütend aus dem jungen Maschinisten hervor, während er sich reflexartig umdrehte. „Hier im Raum ist es überhaupt kein Stück…“
Sein Unterkiefer verabschiedete sich abwärts.
„…heiß.“
Vor ihm, nur wenige Schritte entfernt, lehnte lässig an der Wand eine - offenbar ernsthaft schwitzende - Noé. Zumindest ging Nero davon aus, dass es der Schweiß war, der die Haut ihres Oberkörpers zum Glänzen brachte. Vielleicht war es auch Wasser, das von ihrem Haar abtropfte.
So wie bei Vanessa eben.
Statt, wie er es sonst zu tun pflegte, die Pilotin mit einer Hand freundlich zu grüßen, zuckte er bei ihrem Anblick auf das Heftigste zusammen. Im Gegensatz zu dem jüngeren Mädchen hatte sie sich nicht die Zeit genommen, sich nach der Dusche wieder anzuziehen. Das einzige, das ihren nackten Körper verdeckte, war ein großes Handtuch, welches sie mit einer Hand festhielt. Skeptisch blickte sie auf die Kleidungsstücke am Fußboden.
„Nero!“ rief sie vorwurfsvoll in die Richtung des Quarianers. Dieser zuckte erneut zusammen. „W..was?“ murmelte er, leiser als beabsichtigt, in seinen Helm. Es war absurd. Einfach alles war viel zu absurd. Und das, was sich hier abspielte, es wurde von Sekunde zu Sekunde immer absurder. Als er sich nervös aufrichtete, lief ihm der Schweiß über das Gesicht.
Die beiden Frauen hatten Recht. Es war wirklich verdammt heiß in diesem Raum.
Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er versuchte, rückwärts etwas Abstand zu gewinnen. Langsam, als besäßen sie alle Ruhe der Welt, setzten die beiden Menschenfrauen ihm nach. Auf dem Weg hob die Pilotin das fallen gelassene Hemd ihrer jüngeren Freundin mit der nackten Fußspitze etwas hoch. „Dieser widerliche Mistkerl.“ zischte sie in Noés Richtung, ehe sie das Kleidungsstück wieder fallen ließ. „Er kann doch nichts dafür.“ entgegnete Noé schulterzuckend, und ließ die Hose, welche sie beiläufig geöffnet hatte, an ihren Beinen herabsinken. Vanessa schenkte ihr einen schmachtenden Blick, ohne ihre Schritte zu verlangsamen.
„Okay…. Okay… was … was zum… ich meine…. WAS IN ALLER WELT… IHR…“
Plötzlich stieß er hart mit dem Rücken gegen das Geländer vor dem Antriebskern der Behemoth. Seine Hände umfassten zitternd die kalten Metallstangen hinter ihm. „Was wollt ihr… was …. was tut ihr… warum…“ Wasser. Kaltes, klares Wasser für seinen trockenen Hals. Mit aller mentalen Gewalt die er aufbringen konnte, versuchte er, sich einen riesigen, tosenden Wasserfall vorzustellen. Wie in den Holodiskaufnahmen. Ein wunderschöner, rauschender Wasserfall. Ohne lange Beine. Einfach nur Wasser. Keine verführerischen, gefährlich lächelnden Lippen. Nur ein gewöhnlicher Wasserfall. Er kniff die Augen heftig zusammen.
Und wartete.
Der Wasserfall rauschte leise in seinen Ohren. Eigentlich war es sein Blut. Aber Nero versuchte sich vorzustellen, dass es vom malerischen, friedlichen Gewässer aus seinem Kopf kommen würde. Lautlos summte er ein Lied, das zu der Idylle passen könnte.
Und wartete.
Da jedoch nichts passierte, und er genug vom Warten hatte, machte er die Augen wieder auf.
Und blickte direkt in den Lauf von Noés Pistole. Nur eine Haaresbreite trennte die Mündung der Waffe von dem Glas, das ihn vor der giftigen Atmosphäre schützte. Seine Augen weiteten sich vor Panik. „Noé, du… du willst doch nicht wirklich… warum… ich meine… was hab ich dir…“ Wenn sie ihm wirklich zuhörte, dann ließ sie es sich nicht anmerken. Vanessa gesellte sich lächelnd zu ihr. Auch sie schien kaum auf den Quarianer zu achten. Ihre ganze Aufmerksamkeit gehörte der jüngeren Frau.
Plötzlich kicherte sie leise, als wäre ihr spontan etwas Lustiges durch den Kopf gegangen.
„Was ist?“ fragte Noé, ohne den Blick von ihrem potenziellen Opfer abzuwenden.
„Nichts.“ kicherte Vanessa, griff mit beiden Händen nach ihrem Kinn, wobei ihr Handtuch zu Boden fiel, drehte ihr Gesicht in ihre Richtung und küsste sie leidenschaftlich auf den Mund.
Fassungslos, und auch ein klein wenig fasziniert, beobachtete Nero, wie die andere Menschenfrau den Kuss erwiderte. Und dabei kein Stück die Waffe sinken ließ.
Er würde hier sterben. Auf unglaublich absurde Art und Weise sterben. Zugegeben…
„…wenigstens sterbe ich ziemlich sexy…“ kommentierte er die tödliche Situation, worauf die Pilotin abrupt den Kuss unterbrach. Zornig funkelten ihre blauen Augen ihn an.
„Er nervt.“
„Jah. Der nervt schon seit Narshad. Hey, ich knall’ ihn echt ab.“
Als Nero sah, wie ihr rechter Zeigefinger sich langsam am Abzug verkrampfte, zog er die Luft zwischen den zusammengepressten Zähnen ein und schloss erwartungsvoll beide Augen.
„Warte!“
Der Ruf kam nicht von ihm. Sein rechtes Auge öffnete sich irritiert einen spaltbreit. Leicht verschwommen nahm er wahr, wie sich zwei Hände hinter Noés Rücken auf ihre Schultern legten und diese abwärts, bis zu den Handgelenken der jungen Kriminellen, herab schoben.
Mit einem verspielten Grinsen legte Vanessa ihr Kinn auf die Schulter des Mädchens. Ihre Hände ruhten auf dem jüngeren Händepaar. Vier Hände, die eine Pistole umfassten.
Im selben Moment, leise, aber dennoch laut genug so dass es auch Nero verstand, schnurrte sie etwas in das Ohr ihrer Freundin.
„Lass es uns gemeinsam tun.“
„Gerne. Wie aufregend.“
„W-was? He…HEY! Ihr…“
Sie hörten ihn nicht. Sie sahen ihn nicht. Was sie hörten, was sie sahen, nur sich selbst.
„…NEIN, wartet, halt, nicht, ich… ihr könnt nicht… nein ni…“
Gleichzeitig rissen sie den Kopf herum und stießen einen einzigen, gemeinsamen Schrei aus.
„PENG!“
Peng. Er war knallwach.