5:15 Uhr
Die Krankenstation
John hatte Amanda, wie sie irgendwo im Unterbewusstsein fast schon ahnte, den Vortritt gelassen und gab sich Isabels Künsten nickend hin. Es waren zwar schon unzählige Stunden vergangen, seitdem sich das gierige Projektil durch Haut- und Fleischgewebe fraß, um eine blutige Eintrittswunde am Oberarm zu hinterlassen, aber das Stechen war mit jeder Runde, die es brauchte, um den Verband zu entfernen, erneut zu spüren. Es zwang die Wissenschaftlerin alle paar Sekunden auf die Zähne zu beißen und den Schmerz weitestgehend zu verstecken, um die Krankenstation nicht als verweichlichte Prinzessin im pinkfarbenen Rüschenkleid verlassen zu müssen.
Darum kam auch Isabels Frage, ob Amanda nicht irgendetwas loswerden wollte, als Ablenkung sehr recht. Doch wollte die 29-jährige die Bilder überhaupt noch einmal durchkauen? Das Hören des eigenen Blutes, wie es vom Herz durch die Adern gepumpt wurde? Der eiskalte Schauer, der ihr über den Rücken lief, als sie das Blut am weißen Ärmel entdeckte? Die blutigen, in Stücke gerissenen Söldner, denen sie das Ganze zu verdanken hatte?
Die 29-jährige blickte Alvaréz nach einigen Sekunden direkt in die Augen und antwortete monoton: „Mir geht’s gut, danke.“ Lügnerin!Amanda blickte an ihrem rechten Arm hinunter und erspähte die nun freiliegende Wunde, an der Isabel gerade dazu ansetzte, sie zu säubern. Erneut biss die Amerikanerin die Zähne zusammen und ließ das Ziehen und Brennen, das sich durch ihren gesamten Körper fraß, nach außen hin spurlos über sich ergehen. Sie überraschte sogar sich selbst, wie sie mit so einer Müdigkeit noch diese Kraft aufbringen konnte, um dem Schmerz zu widerstehen. Doch sie schaffte es. Das zählte. „Ich hab‘ schlimmeres gesehen.“ Viel schlimmeres. Kommentierte sie schließlich den Anblick ihres Arms. „Und - nichts gegen Sie - Medizin ist das eine.“ Eine kurze Pause folgte, bevor Amanda mit einem leicht provokanten Ton fortfuhr. „Menschliches Verständnis das andere.“ Die 29-jährige warf John schließlich ein Lächeln zu. „Wenn ich Letzteres brauche, weiß ich, zu wem ich gehen kann.“, der Blick glitt wieder zur Ärztin. „Und sollte ich mir noch mal etwas einfangen, kann ich ja hier auf Sie vertrauen.“, fügte sie letztlich hinzu, um die vorangegangen Worte wieder abzuschwächen, als ihr klar wurde, welche Tragweite diese eigentlich haben konnten.